Texts

KÜNSTLERPORTRAIT IM KULTURRADIO RBB
So 14.10.2018 | 14:04 | Feature
Funkenflug im Zwischenraum
Drei Positionen zeitgenössischer Malerei
Von Merzouga
Regie: Merzouga
Produktion: rbb 2018
- Ursendung -
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COSIMA HAWEMANN

INVERSE EMPIRE

Latente Unruhe und Unbestimmbarkeit: die Arbeiten von Cosima Hawemann lassen Szenarien entstehen, die sich einer visuellen Verlässlichkeit entziehen. Sie zeigen Momente und Situationen, die auf etwas verweisen, das sich nicht gänzlich greifen lässt: Spuren einer Präsenz, die ins Abwesende übergeht.

Cosima Hawemanns Soloausstellung „Inverse Empire“ im Coelner Zimmer präsentiert Portraits und Landschaftsbilder, die allesamt mit dem Moment der Umkehrung hantieren: die Bilder erinnern an Negativfilme, denn die Farben wurden ins Komplementäre gekehrt. Der an David Lynchs Film „Inland Empire“ (2006) angelehnte Titel der Ausstellung eröffnet dabei ein breites Spektrum an Referenzen und Assoziationen. So kann der Titel zum einen als ein Verweis auf das Medium des Films als solchen gelesen werden, denn Hawemanns Bilder greifen, neben der Farbumkehrung als Negative, eine starke Filmstilästhetik auf: ein verlassenes Boot inmitten eines Sees im dichten Geäst, eine Figur am Rande eines Waldstücks – allesamt Sujets, die wie aus einem uns wohlvertrauten Film entstammen. Zum anderen eröffnet der Ausstellungstitel einen direkten Bezug zu Lynchs Thriller, der selbst mise-en-abyme-artig operiert: als ein Film im Film, der stets von Dopplungen und Momenten der Ununterscheidbarkeit zwischen dem ‚Gespielten‘ und dem ‚Gelebten‘, zwischen Selbst und Anderem durchzogen ist. Die Thematik der Dopplungen greift auch Hawemann in ihren Werken auf. So sind ihre Bilder von Doppelgängern bevölkert, von Gestalten, die sich als Schatten oder Silhouetten zeigen. Es sind Figuren in fragmentarischen Narrationen, die angetriggert werden, ohne eine Konturierung zu erfahren.

Der mediale Bezug zu Film und Fotografie macht sich auch auf der technischen bzw. materiellen Ebene der Arbeiten bemerkbar. Die Bilder – insbesondere die Portraits – gehen zumeist auf Found Footage (also vorgefundene mediale Darstellungen wie z.B. Modefotografien) zurück und werden von der Künstlerin unter Verwendung unterschiedlicher Verfahren und Materialien bearbeitet. Insbesondere die Technik des Übermalens führt dazu, dass die Bilder eine fragmentierte Ästhetik erhalten und teils ins Abstrakte hinübergleiten. Das Filmisch-Fotografische zeigt sich des Weiteren auf einer anderen Ebene, nämlich im Entstehungsprozess der Bilder, der auf eine dem Siebdruck verwandte Technik zurückgeht. Im Zuge dessen wird ein mit Fotoemulsion belichtetes Polyestergewebe mit lasierenden Schichten übermalt, was zur Folge hat, dass einige Stellen transparent bleiben und das Gewebe hindurchscheinen lassen. Auf diese Weise wird ein Moiré-Effekt erzeugt: optische Interferenzen, die sich aus der Relation zwischen der Fotografie und der Malerei ergeben.

Die Überlagerung wird damit zu einer präsenten Geste in Hawemanns Werken. Doch sind es nicht nur die Material- und Farbschichten, die miteinander interferieren, sondern auch die Ansichten: das Innen und Außen. Der Blick von außen auf die Figuren und Landschaften wird zu einem Wahrnehmungsbild, einer Innenansicht. So erzeugen die Bilder unentwegt Déjà-vus: die das Einsame adressierenden Landschaftsbilder und die das Unheimliche umspielenden Portraits erinnern stets an etwas, das unbestimmt bleibt. Damit schreiben sie Szenarien fort, die zur gleichen Zeit beides vollziehen: Wahrnehmbar-Machen und Auslöschen, Verweisen und Entziehen, Manifestieren und Auflösen.

Svetlana Chernyshova

COSIMA HAWEMANN

Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. … Die Außenwelt ist die Schattenwelt …

(Novalis 1798 [1])

Masken

Der Mund steht mit sinnlichem Ausdruck halb offen, die tiefschwarzen Nasenlöcher wirken wie ausgeschnitten. Aus schattigen Augenhöhlen, die das Grau der düsteren Umgebung angenommen haben, blicken herausfordernd zwei übergroße Pupillen. Den ganzen Rest des Gesichts, sogar die Lippen, bedeckt eine rosige Paste. Seit 2009 entwickelt Cosima Hawemann eine große Werkgruppe von Übermalungen: kleinformatige Papierarbeiten auf der Basis von fotografischen Vorlagen aus Magazinen oder auch privaten Aufnahmen, die sie einscannt, am Computer bearbeitet und dann ausdruckt, um sie als Malgrund zu verwenden.

Was auf den ersten Blick an kosmetische Gesichtsmasken erinnert, ist Acrylfarbe. Hawemann legt sie dick auf, mit geschwungenen Pinselstrichen, die den Rundungen von Kinn, Augenbrauen und Stirn folgen. Konsistenz und ungleichmäßige Verteilung lassen an Thanaka denken, die gelblich-weiße Baumrindencreme, die Asiaten pastos mit den Fingern auftragen, um ihr Gesicht vor der Sonne zu schützen. Sind es natürliche Inhaltsstoffe, die unerwartet eine Hummel angelockt haben und damit das von der Maske verdeckte Gesicht noch surrealer erscheinen lassen?

Es ist nicht wirklich anzunehmen, dass hier ein Gesicht vor UV-Strahlen geschützt oder gereinigt und mit einer „Schönheitsmaske“ optimiert werden soll. Im Gegenteil scheint es Cosima Hawemann darum zu gehen, von äußerlicher Perfektion und Oberflächlichkeit abzulenken, die Fassade des zurechtgemachten Gesichts zu hintergehen und auf das Innere zu zielen. Auch wenn sich das paradox anhört: Sie legt den Porträtierten Masken aus Acrylfarbe auf, um etwas von dem zum Vorschein zu bringen, was unter beiden Schichten – der aus Acryl und der aus (geschminkter) Haut – verborgen liegt, etwas vom Kern einer Person, auf den alle ernsthaft betriebene Porträtkunst abzielt.

Zu Recht haben Kritiker illusionistischer, bloß auf Ähnlichkeit angelegter Porträts angeführt, dass sich diese Bildnisse in schlichter Oberflächenwahrheit erschöpften und oftmals inhaltsleer seien.[2] Seit jeher ist das Porträt ein Findungsprozess, ein subtiles Freilegen oder auch betontes Hervorkehren solcher Züge, die man charakteristisch nennt, weil sie Rückschlüsse auf den Charakter einer Person zulassen. Das Schminken als alltägliche Handlung ist ein ritueller Akt der Verwandlung, der Transformation des Ichs beziehungsweise der Erschaffung eines anderen Selbst(bildes). Werbung, Hochglanzmagazine und Soziale Medien treiben die Inszenierung einer Parallelwelt des – modischen Schönheitsidealen angepassten – Alter Egos voran. Cosima Hawemann geht mit ihrer Überformung des Gesichts einen anderen Weg.

Die Gesichter, die sie sich vornimmt, beraubt sie ihrer Attraktivität und teils auch ihrer Wiedererkennbarkeit. Mit betont subjektivem Zugriff ermächtigt sie sich dieser Bilder und entfernt sie von der ursprünglichen Vorlage, verdichtet und verfinstert sie. Indem die Künstlerin das Antlitz weitgehend verdeckt, stört sie konventionelle Darstellungs- und Rezeptionsmechanismen. Sie verwehrt dem Betrachter den herkömmlich gesuchten Zugang zur Individualität der Porträtierten über das „ähnliche“ Gesicht und lässt andere, bisher nicht gesehene Seiten der vorgestellten Personen erahnen. Mit künstlerischem Spürsinn, der sich gleichermaßen auf forschende Neugierde, Empathie und ein Instrumentarium stützt, das die Porträtkunst über die Jahrhunderte ausdifferenzierte, dringt Cosima Hawemann in psychische, emotionale und historische Tiefen vor. Damit erschließt sie einen Weg, der seit Novalis als Weg der Überwindung der Oberflächlichkeit durch eine (erneute) Romantisierung der Welt gekennzeichnet ist: der „geheimnisvolle Weg“, der ins Innere des Menschen führt.

 

Ich bin ein anderer

(Rimbaud 1871[3])

Spiegelungen

Der klassische Ort der Selbstbefragung, eine Bühne der Selbstinszenierung sowie des spannungsreichen Abgleichs zwischen Außensicht und Innenschau, Eigen- und (gewünschter) Fremdwahrnehmung ist der Spiegel. Mit der Maske gemeinsam ist ihm der Effekt der Irritation, die einen aus dem (fast traumwandlerisch) unreflektierten Stadium der Selbstvergessenheit rüttelt und das Selbst zur Disposition stellt. Im Spiegel wird das Selbst zum Projekt, an dem man arbeiten kann und vielleicht auch muss.

Wie sich Narziss gegen die Wasseroberfläche beugt – in dem Wunsch, seiner Spiegelung nahezukommen und sich mit seinem (abgespaltenen) Spiegel-Ich (wieder) zu vereinen –, so rückt in Cosima Hawemanns Gemälde Spiegelung von 2018 ein schwarz gekleideter, androgyn wirkender Protagonist seinem Spiegelbild ganz nahe. Fast berühren sich im Bild die beiden Stirnpartien. Eindringlich fixiert die sich vorbeugende Figur aus nächster Nähe die Augen ihres Gegenübers, das ihr aufs Haar gleicht, in seinen Konturen aber merkwürdig aufgelöst scheint und sich dem Betrachter zuwendet, ihn einbezieht. Die gewählte Perspektive lässt die beiden Körper – der eine frontal, der andere im seitlichen Profil gegeben – derart auseinander treten, dass man zunächst zwei Personen zu sehen meint. Sie sehen sich erstaunlich ähnlich. Wie die beiden ihre Köpfe zusammenstecken, vielleicht um ganz im Vertrauen zu sprechen, könnte man sie für Zwillinge halten.

Das wäre durchaus naheliegend im Kontext des Œuvres von Cosima Hawemann, die sich seit Jahren in der Serie Twins intensiv mit der Identität von Zwillingen auseinandersetzt: Was heißt es, wenn im Fall von eineiigen Zwillingen das unteilbare „Individuum“ von vorneherein als Dividuum zu verstehen ist, als geteilte Einheit zweier, die ihr Leben lang auf besondere Weise miteinander verbunden bleiben? Und wie stellt sich diese Verbundenheit dar, wie lässt sie sich zeigen? Im Bild zweier Zwillingsschwestern, einem überarbeiteten Print von 2017, gehen deren identische Kleider so ineinander über, dass die beiden zu einer – fast siamesisch wirkenden – Einheit verschmelzen und sich zu zweit eine linke und eine rechte Hand zu teilen scheinen.

Neben dem Zwillingsthema klingt in der merkwürdigen Begegnung zweier halb verschatteter Gestalten auch Cosima Hawemanns 2009 begonnene Werkgruppe der Doppelgänger nach. Zwillinge oder Doppelgänger – hier wie dort führt die Außenperspektive unwillkürlich zu Verwechslungen. Man muss schon genauer hinsehen, um den einen vom anderen unterscheiden zu können. Die Ähnlichkeit könnte im Gemälde ohne Titel von 2018 so weit gehen, dass die Person in Schwarz sogar selbst in ungläubiges Staunen darüber gerät, wie nah ihr vermeintlicher Doppelgänger ihr doch kommt. Das würde den prüfenden Blick aus der Nähe nötig machen.

In ihrer Serie der Doppelgänger setzt Hawemann mit ihren Übermalungen von Filmstills ein Spiel mit Identitäten und Rollen in Gang. Im Zuge der medialen Stilisierung zu Hollywood-Ikonen[4] werden Schauspieler*innen auch im realen Leben auf ihre Rolle reduziert. Auf diese Art erhalten sie einen Doppelgänger, der sich von der eigentlichen Person trennt und verselbstständigt.[5] Und wie die Fotografen internationaler Magazine für ihre Modestrecken mitunter bewusst die ebenso glamouröse wie abgründige Filmwelt als atmosphärische Referenz aufrufen, so verwandelt Cosima Hawemann durch ihre Überarbeitung von Modefotografien wie zum Beispiel derjenigen einer nun ergrauten Blondine die dort posierenden Frauen in zwielichtige Schattengestalten. Die Dame mit Federboa könnte einem Film von David Lynch entsprungen sein – als sei sie eine dunkle Doppelgängerin, ein evil twin des fotografierten, nun unter die Bemalung verdrängten Models.

Dass die merkwürdige Situation eines Treffens zweier fast identisch aussehender Gestalten in Hawemanns Gemälde von 2018 als Spiegelung zu betrachten ist, erschließt sich wohl erst beim zweiten oder dritten Blick, sobald man nämlich zwischen den Schuhen der beiden Figuren die lineare Kante entdeckt, die den Raum vor der bodentiefen Spiegelwand vom Spiegelbild trennt. Der lichte Bereich, der die doppelte Figur umgibt und als Blick aus einem dunklen Innen- in einen lichten Außenraum zu lesen war, ist nun aber im Rücken des Betrachters anzunehmen und lässt damit an Platons Höhlengleichnis denken. Schein und Wirklichkeit sind am Spiegel nur einen Blick voneinander entfernt. Sie sind als zwei Seiten einer Person aufzufassen, die ursächlich zusammenhängen und doch im Moment des Spiegelblicks auseinanderfallen können.

Vermitteln hier bei aller Nähe die hinter dem Rücken verschränkten Hände eine gewisse Distanziertheit, so gerät der Spiegelblick in dem ebenfalls 2018 entstandenen Gemälde Spiegelung zu einem spielerischen Ringen, einem Tanz von Anziehung und Abstoßung. Wenn die übertrieben theatralische, wie ein Zitat aus alten Stummfilmen wirkende Pose zusammen mit dem ovalen Spiegel eine Herzform bildet, ist in dem Werk unschwer eine weibliche Reprise des Mythos von Narziss erkennbar.

Seit der Rezeption durch Sigmund Freud steht Narziss nicht mehr nur für Eitelkeit und Selbstliebe, sondern auch für die Suche nach Selbsterkenntnis.[6] Mittlerweile wird Narziss als Urvater heute exzessiver Selbstdarstellung und -vermarktung gedeutet, die in den Sozialen Medien zwanghafte Züge annehmen kann. In einer Gesellschaft von Narzissten[7], die in ihr Spiegelbild vernarrt sind und dieses fast unablässig und digital grenzenlos verbreiten, lassen sich Cosima Hawemanns Arbeiten auch als Appell zur Besinnung, zur Abkehr von eitlen Äußerlichkeiten verstehen: „Mit ihren Gemälden wirft Hawemann Steine in den Teich des Narziss, und die gekräuselte Oberfläche gibt uns Gelegenheit zu fliehen.“[8] Im Oval des Spiegels erscheint in Hawemanns Spiegelung von 2018 ein gespenstisch verzerrtes Gesicht, durch die Übermalung entstellt, wie maskiert oder teilweise aufgelöst: ein Subjekt, das sich entzieht, das den Schein seiner oberflächlichen Ich-Identität durchschaut hat und im Prozess der Selbstreflexion das Andere in sich erkennt.[9]

Die Kunst ist ein „Ort der permanenten Konferenz“

(In Abwandlung eines Zitats von Joseph Beuys[10])

Konferenzen

 

Cosima Hawemann eignet sich in ihrer Serie der Übermalungen Bilder an und verwandelt sie. Sie unterzieht die aus Modemagazinen entnommenen Vorlagen einer kritischen Bildanalyse und Metamorphose. In den inszenierten Modestrecken findet sie zum Teil bereits Anlagen, die auf Vorbilder aus Film oder Kunst zurückverweisen. Diese entwickelt sie weiter, reichert sie durch neue Aspekte an oder wendet sie in etwas Anderes. Wenn Hawemann die gescannten und vorbearbeiteten Fotografien mit ihrer eigenen Handschrift überformt, steht aber auch die Künstlerin ihrerseits in Kontakt mit all denjenigen, die sich bereits ähnlichen Herausforderungen bei der künstlerischen Annäherung an komplexe Identitäten gestellt haben.

Wie die Modefotografen mitunter bekannte Bildkonzepte aufrufen, um damit verbundene Assoziationsräume zu eröffnen, so konsultiert Hawemann ihrerseits bei ihrer künstlerischen Deutung der vorgestellten Personen den einen oder anderen Kollegen aus der langen Geschichte der Porträtmalerei. Dadurch gewinnen ihre Protagonisten nicht nur psychologische, sondern auch kunsthistorische Tiefe. Jedes einzelne Bildnis wird verhandelt zwischen dem Model, dem Fotografen, verschiedenen Gewährsleuten aus Foto-, Film- und Kunstgeschichte, der Künstlerin und schließlich uns als Betrachtern. Das Ergebnis sind Mischwesen, Chimären[11] – hervorgegangen aus einem vielstimmigen Prozess, einer Art Konferenz (lt. conferre: zusammentragen, vergleichen), die uns eine Person in ihrer Vielschichtigkeit vorstellt, im Kräftefeld multipler Identitäten und Projektionen.

Wenn in der Modefotografie bemerkenswerterweise (und im Gegensatz zur privaten Fotografie) so gut wie nie gelacht wird und die Künstlerin bei ihrer Sichtung des Materials zudem das Phänomen der förmlichen Vereinzelung des Models vor der Kamera beobachtet, bringt sie in ihren Übermalungen die dort angelegte Vereinsamung umso mehr zum Vorschein: Teils sehen wir ihre Figuren nachdenklich oder finster grübelnd, teils in sich gekehrt oder ganz in sich verschlossen. Wir beobachten sie im Cafè hinter einer reflektierenden Scheibe und erinnern uns an Filmszenen der Selbstverlorenheit und Distanzierung von der Außenwelt. Sie erscheinen versonnen am Fenster oder in entleerten Interieurs, und wir werden wie bei Edward Hopper stille Zeugen eines langsamen Prozesses, in dem sich auch im Inneren der Menschen eine entsprechende Leere ausbreitet.

Aus nächster Nähe sehen wir eine Rothaarige im verengten Bildfeld und Hawemann erzeugt eine unvermittelte Präsenz, die ein Déja-Vù auslösen kann. Durch das intime Interieur legt sie den Vergleich mit den Protagonistinnen der Gemälde Jan Vermeers nahe.

Erinnerungen an die atmosphärisch aufgeladenen Innenräume Felix Vallotons mit ihrer eindringlichen Licht- und Farbregie in Rot, Schwarz und Grau ruft ein besonderes Doppelporträt auf, in dem ein Herr in Abendgarderobe innige Blicke mit einem (vermutlich seinem) Hund tauscht Nicht nur bei Zwillingen, auch bei Hund und Herrchen weiß man von ganz besonderen Verbindungen und einem wechselseitigen Verständnis, das keiner Worte bedarf. Der Austausch zwischen den beiden kann wie der Blick in den Spiegel auch Anlass zur Selbstbefragung geben – entfernt vergleichbar einer psychologischen Sitzung, in der das Tier mit seinen Blicken „nur“ die richtigen Fragen anzustoßen braucht, um den Menschen auf Des Pudels Kern (so der Titel) und damit auf den Weg der Selbsterkenntnis zu führen.

Während eine weitere Introvertierte, ganz in Schwarz und theatralisch ausgeleuchtet in einer bühnenhaften Szenerie sitzt und an die schonungslosen, kantigen Porträts Max Beckmanns denken lässt, scheinen Hawemanns Figuren in vielen Arbeiten mit dem Umraum zu verschmelzen. Sie befinden sich in einem Prozess der Auflösung, der sie einer klaren Festlegung entzieht, sie permeabel und wandelbar macht. Der durchdringende Seitenblick einer Brünetten bringt die (Selbst-)Porträts des belgischen Symbolisten Leon Spilliaert in Erinnerung. Es sind beunruhigende Bilder des Zweifels des modernen Subjekts an sich selbst. Dabei verschwimmen die klaren Konturen der Figur, die braunen Haare verschmelzen mit dem düsteren Hintergrund. Ein türkisfarbener Umhang wird in der wässrigen Übermalung transparent und verliert seine Stofflichkeit.

Immer wieder findet Cosima Hawemann auch Wege, den im Unbestimmten belassenen und zugleich mit der Figur verbundenen Außenraum als suggestiv-geheimnisvollen Resonanzraum psychischer Vorgänge erfahrbar zu machen. Mal strahlen ihre Figuren auratisch in den Raum aus und lassen Werke Edvard Munchs nachklingen. In diesen sind Figur und Raum derart verschränkt, dass der Außenraum als von den Emotionen des Menschen durchströmte Seelenlandschaft erscheint. Dann wieder lässt Hawemann mit der Eigendynamik flüssig aufgetragener Pigmente ihre Figuren in das Umfeld im wahrsten Sinne des Wortes ausfließen – als könnten sie sich über die Grenzen des Körperlichen hinwegsetzen.

Der moderne Mensch will schaudern – nicht, weil er dadurch in seinen Grundfesten verunsichert werden würde, sondern weil er just dadurch in seinen Grundzügen gefestigt wird.[12] (Daniel Hornuff 2017)

Nachtgestalten

Durch ihre Übermalung fiktionalisiert, man könnte auch sagen romantisiert Cosima Hawemann ihre Vorbilder. Sie legt mit den Mitteln der Malerei die Kehr- und Nachtseiten der fotografischen Vorlagen offen, entfremdet uns die mehr oder weniger bekannten Figuren aus Mode, Werbung oder Film. Fotografische und malerische Bildteile zeigen uns zwei verschiedene, überlagerte und sich reibende Bilder ein- und derselben Person. Dabei kippt das Vertraute ins Fremde, ins Unheimliche: „Schroff stehen die verschiedenen medialen Realitäten nebeneinander und versetzen die Figuren in ein nicht zu verortendes Nirgendwo, machen diese Zwiebilder zu Bildern nach dem Leben“.[13]

Gleichzeitig löst Hawemann die Interieurs in düstere Farbräume auf, in denen vampirhafte Nachtgestalten erscheinen in denen sich Schatten melodramatisch ausbreiten und ein Eigenleben zu führen beginnen wie in den Stummfilmen von Friedrich Murnau, in Klassikern des Grauens wie Nosferatu, in denen bleiche Gesichter kurz aus dem Dunkel aufscheinen wie theatralische Visionen eines Mephisto Diese Räume entziehen sich der rationalen Kontrolle, sie gleiten ab ins Unbekannte und werden zum Ausdruck einer existentiellen Verunsicherung.

Auch hier weiß Cosima Hawemann um die Tradition der unheimlich werdenden Innenräume in der Kunstgeschichte von Edvard Munch über Léon Spilliaert bis Max Beckmann, in der „Raumverdunklungen und -deformierungen immer auch von den Deformationen künden, denen das moderne Individuum ausgesetzt ist“.[14] Sigmund Freud hat die Stichworte für eine Interpretation des Unheimlichen als räumliches Phänomen gegeben: Er sah das Unheimliche nicht als das Fremde, sondern als das Vertraute, das durch den Prozess der Verdrängung entfremdet wird, dann aber wieder auftaucht als geisterhafter Wiedergänger.[15] Der Innenraum, das Heim wird zum Ort der Heimsuchung durch die Angst, aber auch zu deren Mitspieler und Resonanzraum.

Und Hawemann beschwört solche Wiedergänger mit dem Pinsel herauf wie einst die Geisterfotografen des 19. Jahrhunderts den Moment mit der Kamera festhielten, in dem sich ein Geist im organisch geformten Ektoplasma materialisierte: Wenn sich in ihrem Gemälde 4.18-4.48 (das „E.M.“ im Titel verweist auf eine fotografische Vorlage Edvard Munchs); an der Wand hinter einer sitzenden Frau eine phantomhafte Gestalt aus vermeintlich zufälligen Farbverläufen abzeichnet, glaubt man einer Séance beizuwohnen. Nimmt die Dame gerade Kontakt mit einer Seele aus dem Jenseits auf? Oder sehen wir so etwas wie ihre dunkle Seite, ein unsichtbares Alter Ego einer Person, wie es Hawemann in einigen der Papierarbeiten andeutungsweise zur Erscheinung bringt oder schemenhaft erahnen lässt ?

Auch in ihrem Gemälde No. 8 provoziert und lenkt Hawemann den Zufall. Sie lässt nicht nur die dunklen Haare, sondern auch die Konturen von Schulterpartie und Arm der Figur derart in die giftigen Türkis-, Braun- und Schwarztöne des fleckig wabernden Umraums verlaufen, dass man den Eindruck haben kann, die nach vorne maskenhaft-verschlossen wirkende Frau öffnete sich nach hinten oder löse sich dort auf. Auf den zweiten Blick glaubt man ein monströses Wesen zu erkennen, das ihr hinterrücks düstere Gedanken eingibt.

In ihren menschenleeren Wald-Bildern, einer Werkgruppe von 2016/17 [16], vermittelt Cosima Hawemann in dichten Strukturen und flirrenden, ins Negativ gekehrten Farben ein Gefühl der Desorientierung. Die Irritation reißt den Betrachter aus seinem Alltag, lässt ihn die Grenzen ins Unbekannte überschreiten und eintauchen in eine Welt, die ebenso wundervoll wie aufregend, unheilschwanger und romantisch erscheint. Hier verläuft man sich (gerne), um geläutert zurückzukehren. Der Weg durch den Wald ist in der Romantik eine Metapher der persönlichen Transformation, letztendlich immer auch die Spiegelung innerer Prozesse in den Außenraum. In diesem Sinne ist auch Hawemanns Gemälde No. 5 durch und durch romantisch, wenn in der künstlerischen Gestaltung seines Protagonisten dessen Schattenseite sich mit dem Ausfließen der schwarzen Übermalung in allen Richtungen scheinbar unaufhaltsam zu einer Art Dickicht ausbreitet. Wie im Falle des romantischen Motivs des Doppelgängers weichen die enggezogenen Wirklichkeitsgrenzen auf, die Identität wird in Frage gestellt und öffnet sich ins Vage.

Cosima Hawemanns Bilder gehen von einer handfesten, gewissermaßen fotografisch belegten Realität aus und sind doch durchdrungen von einer Atmosphäre des Zweifels, der Verunsicherung und des Ungefähren. Die Art und Weise, wie sie die abgebildete, durch die Modefotografie gefilterte Wirklichkeit in Frage stellt, könnte man „Spekulativen Realismus“ nennen, eine abgründige Spielart des Realismus, die in den letzten Jahren in Gestalt einer „Neuen Schwarzen Romantik“ in Erscheinung“ trat. In Christoph Tannerts Berliner Überblicksausstellung zu diesem Phänomen hätten sich Hawemanns Arbeiten bestens eingefügt – in eine Reihe von zeitgenössischen Positionen, die gemäß der bekannten Dialektik der Aufklärung die Geister wieder heraufziehen lassen, deren Bilder den „Anschein dunkler Geheimnisse“ erwecken, indem sie „Realität und Surrealität vermischen“. [17]

Der Blick in psychische Abgründe, der Einbruch des Unheimlichen, die Zuspitzung vorgefundener (Bild)Realitäten auf das Imaginäre hin, auf das radikal Subjektive, auf das hinter dem schattenhaften Äußeren liegende Innere lassen uns Cosima Hawemann als Romantikerin im Geiste erkennen. Und sie erfassen uns mit ihrer Unruhe, ihrer kalkulierten Lust am Schaudern und ihrem bohrenden Blick auf das Andere, das hinter den Masken auch in uns schwelt.

Dr. Fritz Emslander

Kurator und kommissarischer Leiter des Museum Morsbroich, Leverkusen

[1] Novalis: Blüthenstaub [1798], 16. Fragment; zit. nach Ders.:Die Christenheit oder Europa und andere philosophische Schriften, Köln 1996, S. 103.

[2] Vgl. Fritz Emslander: Ich kann den Mann wegen der Ähnlichkeit nicht erkennen. Zeichnerische Positionen zur Aufhebung der Ähnlichkeit Im Porträt. In: Kunstforum International, Bd. 216 (Gesicht im Porträt/Porträt ohne Gesicht), Juli/August 2012, S. 108–119.

[3] Arthur Rimbaud: Œuvres complètes, hrsg. von Antoine Adam, Paris 1972, S. 248 f. (Brief vom 13.5.1871).

[4] Es entstanden u.a. Serien zu Marilyn Monroe (NJB, 2011), Grace Kelly (GK, 2013) und Marlene Dietrich (MMD, 2014).

[5] Der Schauspieler Ryan Gosling beschrieb diesen Effekt in einem Interview für die ZEIT vom 13. Mai 2015: „Manche Figuren in Filmen hinterlassen einen derart starken Eindruck, dass sie einen in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit einfach übernehmen.[...] Du wirst zu deiner Rolle. Es ist wirklich eine merkwürdige Erfahrung. Es gibt plötzlich da draußen (...) diesen Menschen mit meinem Namen, der mir nicht mehr gehört. Dieser Mensch gehört dem Publikum. (...) Er ist mein Doppelgänger. Er ist mein böser Zwillingsbruder“; zit. nach https://www.zuendorfer-wehrturm.de/wehrturm/Bilder/Cosima_Hawemann.pdf.

[6] Zu Adaptionen des Narziss-Mythos in der zeitgenössischen Kunst: Der Spiegel des Narziss. Vom mythologischen Halbgott zum Massenphänomen. Ausst.-Kat. Galerie im Taxispalais, Innsbruck 2013.

[7] Zum Narzissmus als Charakteristikum unserer heutigen Gesellschaft vgl. Bernhard Maaz: Die narzisstische Gesellschaft. Ein Psychogramm, München 2012

[8] Karen Zadra anlässlich der Ausstellung Cosima Hawemann: MirrorrorriM, Galerie Zadra, 2018: “Through these paintings, Hawemann has tossed a stone into Narcissus’s pond, its rippled surface providing an opportunity for us to escape”; zit. nach https://www.galeriezadra.com/exhibition/cosima-hawemann/mirrorrorrim.

[9] Die „Entgrenzung, Veränderung, Verdinglichung, Spaltung und Auflösung“ der Identität als zentrales, in der Kunst reflektiertes Problem „am Ende des 20. Jahrhunderts“ verhandelt der Katalog der Ausstellung Ich ist etwas Anderes, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2000; zit. Armin Zweite: Ich ist etwas Anderes. In: ebd., S. 27–50, hier S. 28.

[10] Vgl. Joseph Beuys: Das Museum – ein Ort der permanenten Konferenz, in: Horst Kurnitzky (HG.): Notizbuch 3. Kunst. Gesellschaft. Museum, Berlin 1980, S. 47–74, hier S. 56. Spätestens seit den Diskussionen um die Postmoderne fassen Künstler die vergangene Kunst als „ihnen zur Verfügung stehendes Arsenal“ auf und sehen ihr Kunstschaffen im Kontext einer „mehrdimensionalen Situation, die sowohl das Gefüge der gleichzeitigen Erscheinungen … umfasst, als auch die vertikalen Dimensionen der Allgegenwärtigkeit vergangener Kunstformen“, wie Udo Kultermann bereits früh feststellte (Geschichte der Kunstgeschichte, Frankfurt a. M. 1981, S. 412 f.). Heute, da ein unerschöpflicher Bilderpool medial verfügbar ist, gilt dies umso mehr.

[11] Cosima Hawemanns Einzelausstellung bei Kaune Contemporary in Köln 2019 trug den Titel „Grazile Chimären“.

[12] Daniel Hornuff: „Und aus der Erde singt das Kind“ – Schaudern als Kulturtechnik. In: Neue Schwarze Romantik – Düster-Hedonismus mit Eleganz. In: Neue Schwarze Romantik. Ausst.-Kat. Künstlerhaus Bethanien 2017, S. 21–25, zit. S. 24.

[13] Jens Peter Koerver: Cosima Hawemann. In: Ausst.-Kat. Zeitgespenster. Erscheinungen des Übernatürlichen in der zeitgenössischen Kunst, Museum Morsbroich, Leverkusen, 2012, S. 80.

[14] So Stephan Berg in seinem Vorwort zu Unheimlich. Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann. Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, 2016, S. 7.

[15] Sigmund Freud: Das Unheimliche, 1919; vgl. hierzu Volker Adolphs: Orte der Angst. In: Ausst.-Kat. Unheimlich 2016 (wie Anm. 14), S. 10–31, bes. S. 14 f.

[16] Vgl. hierzu Karen Zadras Einführung zur Ausstellung A Forest, Galerie Zadra 2017; abrufbar unter https://cosimahawemann.de/text/.

[17] Christoph Tannert: Neue Schwarze Romantik – Düster-Hedonismus mit Eleganz. In: Neue Schwarze Romantik. Ausst.-Kat. Künstlerhaus Bethanien 2017, S. 12–15, zit. S. 14 f.

COSIMA HAWEMANN

Landscreen

Cosima Hawemann’s chosen title for this exhibition is as provocative as it is evocative. She rarely provides a prescriptive artist statement about her work, preferring instead to give a few key concepts and leaving the interpretation to the viewer, knowing that the interpretation will be influenced by the viewer’s own knowledge, memories, and belief systems. The absence of an artist’s statement (the viewer’s security blanket) can make for an intriguing – and at times disturbing – experience as one gazes upon her mysterious and often untitled scenes.

“Landscreen” suggests a collision of the naturalistic and technological worlds, which is, indeed, the case. Hawemann’s starting point for each work is a digital image she takes of her surroundings. From there, the image is either printed directly onto paper or transferred onto polyester screen mesh using a photographic process involving a negative transparency the original photograph and light-sensitive emulsion.

At this point traditional painting techniques reassert themselves, but even here, Hawemann’s otherworldly colouring recalls celluloid or computer-generated colour negatives, or the holographic images we see on the back of our eyelids after looking at a strong light. This allusion to the photographic process reinforces the mediating power of the screens which have come to dominate our lives and shape our ways of seeing and interacting with the world around us.

Hawemann has been investigating memory in her work for many years. Could, then, the technological screens she uses prior to the act of painting also stand for the internal mind-screen onto which we project our memories? As to the question of fidelity, what if our memories degrade in the same way as JPGs do when they are repeatedly opened and saved?

It begs the question of how reliable our memories really are and whether we can accurately remember what we see, or whether our mind’s own processing methods act to distort and recolour elements of each captured image/memory. Just as our memories don’t perfectly capture every detail of a scene, Hawemann shifts between showing detail losses and clear focus within the same painting. The paintings, then, can be seen to stand for the behaviour of our activated memories. Thus, she provokes in the viewer feelings similar to the tension and frustration that we experience as we struggle to fill in missing information and sharpen the blurred edges of our recalled memories. We know it’s there somewhere, if only we could remember who, what, where, when … We shrug off our imperfect recall in the hope it will return later, but our failure of perfect recall continues to prick our sense of self-mastery as well as our pride.

A recent development in Hawemann’s work is the use of polyester screen mesh used in a double layer as a painting support. When painted upon, the transparency of the fabric creates a moiré effect which mimics the kaleidoscopic sensation we’ve all experienced when trying to hold a memory in our mind’s eye: As soon we focus our attention on one area, the image shifts and distorts, edges blur, warp or disappear, colours meld and change. The image/memory can never be completely frozen and forensically examined. If that is the case, can truth ever be determined based on our memory of what we have seen and are able to recall?

Further, the material behaviour of this new medium lends some qualities to the aesthetic experience that mirror viewing a screen-based image. The semi-transparency of the fabric allows for a certain amount of ambient backlighting, creating a soft, screen-like “glow”; the brighter the ambient light, the stronger the effect. Where traditional paintings are only able to reflect light due to their complete opacity, Hawemann’s polyester screen mesh works allow for both reflected and transmitted light. These works are not backed by board and may therefore change in luminance and colour tone depending on the colour of the wall they are hung on. A white wall will provide maximum luminance, while a dark wall will echo the dark mode on a mobile phone. Coloured walls may change how the painting’s colours are perceived (if this effect is considered undesirable, a white backing board will limit the painting to its neutral state).

On hearing of Hawemann’s choice of “Landscreen” for the exhibition title, it conjured for me images of tourists happily snapping away on their phones as they passed each vista on their itinerary. Interestingly, there is often evidence of a human presence, despite the absence of a figure, in Hawemann’s work – huts, boats, felled trees in a wood, a domesticated horse – but the scenes are imbued with an eery stillness suggesting desertion. Such is the behaviour of many tourists: they come briefly, take numerous photos, then desert that scene for the next. Is the only experiential  impression of that moment limited to what is recorded on their camera roll? If they spend more time looking at their screens than real life, will their memory function without digital images aiding recall; or has the camera roll and its offshoots like Instagram already made the mind-memory redundant?

It is not for Hawemann to answer those questions, but for us. Through her hybrid approach, she has transformed the age-old and seemingly innocuous genre of landscape painting into a profoundly philosophical and sensitive investigation of the 21st century’s Zeitgeist. Throughout history the available technology has shaped society and its cultural production, as it does today. In blending the old and new, the tested and experimental, Hawemann holds up a painterly mirror so that we may see ourselves more clearly, while reminding us that all may not be as it appears or as it is remembered.

Karen Zadra


ERSTSCHNEENACHT

(1 Sprech-bild)

von Daniel Kirschbaum

Mich hin-aus räumen in den Um-raum hin-ein. Wie die leise Sichel Stöckl steht, wie die Ähre windbeblasen und beschattet; mir kommt selten nur noch das Gemüt auf, diesen Wahnlauf dieser Finger als 1 Un-geschick (un-geschehen zu machen) zu betrachten. Die Begehrensnote, Begehrensnatur dieser Finger, die machen, malend machen. Fern her kommt ein Glass, ein Glühen, ein blatterbittertes Augendringen, Ein-dringen in ein Stück Natur (wolkenmarmoriert), das sich kränklich überpurpurt (Ausgehen einer hellen, festen Lampe). Mich her-aus schlagen, mich in den Wind, den Stein schlagen. Unter einem fest-zerrenden Wetter, im Außen stehen; wie es mir an den Leib rückt, Farben wirft, Steinzeug macht. Algengarben, licht und grün, mir entlang der Kehlen wachsen, sich auf-düngern, riechen machen, schmecken machen. Unerbittlicher An-fluss Schlag (von Stein, von hartem Hagel, von Mulch und steifstehendem Wind); es gibt wenig, so wenig. Und höbe ich meinen Kopf, mit diesem Staffelnacken, ich sähe Landmut, sähe Waldwut, deren drängender Knospen vieler (mennig-, ziegel-, scharlachrot), sich heben und drängen, Raum zu gewinnen. Fasslicher werden, fasslicher machen die ungefüge Gestalt zahlreicher Bäume (1 Bäume-bau). Versehrt mich auch die blaubehäbige Färbung zäher Wolkenballung, der Schritt trägt; er trägt vorüber am gewichtigen Gehölz, den Blättern die stehen in Haufen. Fern her kommt er auf, der Punkt (von Zeit- von Scheitel- und Blick) besonnenen Auszugs, gemacht mit Bütte und Blei. Müde her-schraffiert der herbstgewagte Grund gehenden Waldes; ein im Ab-fall entdichteter Duft, mählich Löcher, die freigeben den Blick auf diesen alten, eingestaubten Himmel, wirre, wüste Wolken im Zwischen zweier Phänomene heiß und kalt.

Manchmal fällt es mich an wie schleichende Schnecken, (sehend den Tag nicht mehr sehen) bei Verdunkelung der Schritt-, Handbewegung – die Tragfäule zweiter Natur; ich habe ihn oft gespürt, den kalten Zug kalter Zimmer, starrer Pinselhand, deren stockendes Staunen in novemberbemühtes Wehen überging. Ein flaches Luftziehen (ja, die Finger), knackende Acrylerosion platanenblättriger Hautschicht (Wehschicht, Schmerzschicht). Wenig mehr war dann zu tun als die Räume aufzugeben, rückenkehrend auszukehren einzukehren / wenig mehr war dann zu tun als die Mühen, die kaltende Stille zu schultern / wenig mehr war dann zu tun als sich selbst entreißend zu entreisen. Es ist ein Austarieren diagonaler Traglast, sage ich mir. 1 Arm – 1 Bein – 1 Arm – 1 Bein. Immer Hitze (das Heben der Arme bei Feuerglut) immer banges Wanken, letzter Riten in den Natur-raum hin-ein. Vorbei am Prozessieren, Promenieren der Bürger mit ihren geisterhaften, spektral-gebrochenem Gesichtswerk, der Sonntagstaatstatur, denen zuoberst, in angekalkter Oberfläche, reliefgespatelt, eine Farbe an-macht, das stille Verzweiflung verklärte Lüge sei. Grässliche, schauderhafte Wanderungen stimmenhafter Bildlichkeit sind es, welche dort so schwer einher schwanken; ein Gefühl, eine Krankheit verraten bindende, beschlagende Momenthaftigkeit intensiven Gefühls, verwirrte, gestörte Wandlungen eines Verlaufes von Wahn, Angst, Begierde in-dessen. Bruch wagen, Bruch gehen – Falltropfen 1 staudenhaften Leinwandtriebes, gewachsen, geronnen zu einem Gezeitenbecken, welches mir im Brustraum sitzt. Zwischen Jahren […] tropfender, bis es sich stülpt, bis es sich grämt, an dem Becken-Außen, mich treibt, hin-auszutreiben. Dinge, die mich mir entziehen, ausziehen, Zeichen baren Körperkleides, nach-träglicher Geographierung, Einsäumung gefüllt-gefühlter Schwere (marks of weakness, marks of woe). Allzu leere Kernleere, Beckenleere aufzufüllen, aufzusuhlen, unter einem schicklichen Himmel wandern, dessen Wolken mir die Brust voll machen, die puppenhafte Angst, Befürchtung vor Verbildung nehmen, nicht lassen, be-lassen, nehmen einen leisen Baum, seine Höhle, ein Wasser vielleicht auch und wringen es aus – mit den Geräuschen, den brechenden, den kelternden, die da so kommen. Und ich gehe diesen Schritt um Schritt (diagonal) Achsenfüße Achsenbeine, ab-geschrägt und eingewachsen das Achsentum, dieses mein Schrägachsengehen, mein Schrägachsensehen, sage ich. Flackern auf in widerspenstigem Geknoche die Finger, um-greifen den Pinselstiel, einen vagen Raum vager Linie treffend zu übersetzen. Ist es dieser Wald, der mir im Becken liegt. Der groß dauert über-dauert – zwischen Grün und Selbst die Tonspur hält. Romantisches Rauschen, Zeigedinge wie Bäume, wie Blätter, wie Gräser, Überführungsbild Wald, Zweck und Weisung (Waldweisung), Vor-weisung, vor-ältliches Überdauern, Über-gehen, 1 Leinwandmir, Pigmente, Pinsel (Ausrüstung allgemein); 1 großes Freiwaldmalen ungekannter Stimmen, Tiergeräusch und –laute. Diese Alltäglichkeitsnote, die es für mich hat, sage ich, ist ein abseitiges Alltäglichkeitsgehen, sage ich. Es schwingt da der wirbelnde Untergrund, Boden, der in zuckenden Farben die Emailleaugen (die meinen), in ein Rahmenhalten bringt. Leuchten dort die Stümpfe, behäbiges Wurzelwerk, geht mir auf ein Eigenleuchten; pigmentbestaubtes Wurzelwirken, rand-los wird der Wald mir ‘gar, der zunächst angstvolle Ein –und Übertritt wird mir jäh vertrautes Achsenwirken. Die lochgepappte Wälderdecke, durch die ein, welk gebrochen und verstoben, Strahlen fällt, der Baum, aufwärts treibend, stechend her-stellt mein Treiben in die malerische Weite. Wie versteckt, zischen fordernd Schichten, Ringe von Produktion, geht mir leise eine Ahnung auf. Es bricht ein Knacken mir die Ohren, krabbelt steil gefräßig der Käfer mit seinem mürben Rückenschild, zieht es an, hin-ein, die Ahnung, der Wille, Wald zu gehen, Wald zu sehen (again and again and again and again). Zurück fortwährend wieder der Übergang und sein Fehlen zum Wieder. Blätter mit ihrer wassergleichen Qualität (1 Wasserblattgleichnis), sich so gut eignend, einen vagen, farbgestellten Ton zu treffen; glühend das Grün, das Weiß, das Gelb und weiß ich nicht, ob all dies schon invertierte Töne sind, wirkt es so selbst gesehen, selbst-verstanden eingebracht aus der Pupillen-, Augenweite - abgezogen eingesogen, leuchtende Weite, leuchtende Breite. Blütenöffnend und ach so schwer. Hineinblickend Wolken blicken, der Himmel, er trübt sich ein.

*

     Voran-bewegen, unter diesem neuen Wald –und Heidenhimmel voran bewegen. Farbenspektrum grüngespaltener Nadeltressen, Szenerien wie immergrüne Wunschnatur, Szenerien wie meine Ellen, die sich flügelnd spreizen, einen Wund zu schatten, so fremdartige Wunderlichkeit, das mir selbst vor Selbst gram werden mag; und nestel‘ am Pinselköcher eine Auslage, ein Sortiment von Fellreiszungen vieler pinselverwertbarer Tiere zurecht, ziehe letztlich 1 Marder (zusammengeklumpte Marderhaartolle, wie im Traum), die zusammengestaucht ein Behelfsbrett, ein Schaftgelingen bildet.

     1 Licht, das spricht; aufgezogen wie ein Marsyasopfer, dem die Haut an Knöcheln flattert, verstobene Laichlingsblätter, Hängefetzen.

Und mir lacht ein müder Heidenglanz.

     Und es ist immer eine Ab-bildung, 1 Wahrnehmung von Wirklichkeit; nicht Wirklichkeit selbst, die mir da auf-geht. Worauf sonst verweisen, als: Deutsche Wälder, Fotografien, Naturschutzgebiete, Aufnahmen als Ausgangspunkt, Ausgangsbilder (trans-ferieren, trans-ferieren), Übermalung, Kom-bination aus Fotografie und Malerei, Kom-bination aus Gegenständlichem und Abstraktion, Einmaligkeit und Echtheit, Weltumgebung infrage stellen, changieren – changieren - changieren zwischen Auflösung, zwischen Manifestation, Arbeiten auf Papier, Medienverhältnis aus-loten (wieder und wieder und wieder und wieder), alltägliches Spiel alltäglicher Sehgewohnheit (the sound is deep in the dark).

     Und ich blicke, mit angezogenen Paletten-, mit Spatel; schale auf ein Wasser (1 Rührwasser), das in mir ist. 1 Akeleienwasser feiner Nervengräser, mir durch Laich und Leben gehend; es schlägt ab, scheidet ab der feine Nervenwasserntrieb, Schläfengluckern, die herrlich-hilflosen Augen und ihr interne erstocktes Flimmern; ein Immerfortgrün, welches sich auf- und nieder tut.

1 Naturwahrheit, die sich einrandet.

     Hat mir ein spätes Jahr in den Arm gelegt; ich kann ihn nicht ranken machen, den Zwischen-ton, der zwei-sam singt und mich ein-sam weisz; um-samtet mir die Augen (meine Emailleaugen) von grünem Stor um-stellt - Moosessen und Tropfen-trinken; unter diesem Himmel, der mich einnimmt.

Den Schmerzensspuren eine Blatt-, Baumwand geben.

     Bruchwand, Fallstaub: Schmaltrittaugen, die einen schwarzen Grund schwarzer Bohnen auflauern lassen (Onyxtadel), Asphodelosblütenblicken; ein schwarzes Grund-eis, an-schwebende Gefüge, die gehoben tadeln, wenn es vllt. mir die verdrieszliche Notiz über der Atemspule hält, die sich ab-dreht und in einen Dunsttaumel er-kaltender Schrittweisen kommt und mir das Leben eine Rute (Olivenzweig mit Pilzgeflecht) hält.

     Und läuft eine Tintorettoträne entlang wie Harz die Wangen am kühlen Rindenstross (den Scheitel gussabwärts).

Wachsen und Wärmen; Unvollendet-heit, Unvollendet-sein der manische Korpus der Orpheusstumpf (wie er seitwärts, oben wie unten gerissen) der Landschaft ein-steigt (wolkenvernähte, -gehängte Inkunabeln, die Gesichten schreiben; Schlaf)

     1 Giottobaum, 1 Fanal-baum, der schwelend rankt (buschig-bauchig Knäuel schmeiszt; es riechtet sich an).

So im Gehölz im Geplank unterwegs bei Knacken und Kreischen von Ästen und Knospen (just follow your eyes just follow your eyes).

     „Wolken…Heute erlebe ich den Himmel mit Bewusstsein…“ (Pessoa) Wie in 1 Vasari-Beschreibung sittlich hehr welk wimmernd und ging neben mir her mit diesen Augen; stechen mir Äste in Seiten (1 Siedekorb) meine Brust Stützbank.

    Muss mich ver-gehen; wie der Wind oben wie unten be-nimmt mich mit ent-reisend ent-reiszend. Sage mir, werden schon nicht die Feuer, die Flammen aus dem Boden brechen Narbe Erdnarbe, sich aufbeulen, blähen, Nervenflieszen, -sprengen; Ent-taktung (1 Zyklamenzunder).

Verdichte mich zu neuen Ästen, sorgenvollem Sprieszen v. Knospen, v. Schnee usw. […]

Sich entlang eines Waldbodens er-malen.

Mit seinem Moos, seinem niedrigstehenden Stau an Grün, in Flächen von Halmen zerteilt.

     Steht wiegend 1 Frau Fra Angelico-Puppe (Stock-), die sich achsendrehend wendet (un-gefüger Bühnenbau) Schwingungen Blatt für Blatt beeinträchtigt; beeinträgt mich.

     Wie 1 Fra Angelico-figur, -statuette Figurine Abdruck Gips Steinguss; eine wilde, ungehaltene Trauer in ihren Augen: „Das ist die Nacht vor dem ersten Schnee, wissen Sie“, sagt sie. Puppe, die stockt, die sich achsendrehend wendet (ungefüger Bühnen-bau): SO KANN NIEMAND STEHEN „anatomisch unmöglich […] Wartestellung, aber die Füsze nach auszen gedreht in rechtem Winkel […] das kann man nur bei Plattfüszen oder mit gebrochenen Knochen! – (das Standbein gestreckt, Spielbein im Knie gebeugt)“ (Wense über Lehmbruck)

     Aus der Ferne reift sich mir 1 Leben in Wäldern stehend in Wäldern gehend. Behutsame Andeutungen ersten Schnees "morgen soll es schneien"-nacht, Erstschneenacht.

THE GOOD GHOST

Sie scheinen aus einer anderen Welt und Zeit zu kommen und dennoch so präsent zu sein, dass sie geradezu nach uns greifen: die Figuren aus den Bildern und Papierarbeiten von Cosima Hawemann. Diese jüngsten Werke der in Köln ansässigen Künstlerin entstehen in einer ganz besonderen Kombination der Medien Malerei und Fotografie. Zusätzlich kehrt sie bei einigen von ihnen die Farbigkeit um, so dass der Effekt eines Negativs entsteht. Speziell für die Ausstellung THE GOOD GHOST dienten Portraits amerikanischer Schauspielerinnen zwischen 1850 und 1950 – wie Nance O‘Neil und Helen Hayes – sowie Models und inszenierte Modestrecken aus aktuellen Zeitschriften als Vorlagen.

Cosima Hawemann interessiert das Phänomen der Erinnerung und vor allem deren bedingte Zuverlässigkeit. Sie arbeitet sich an die Frage heran, wie viel von Maske, Frisur, Beleuchtung und Schatten man künstlerisch beeinflussen kann ohne den Wiedererkennungswert, das Erinnern gänzlich auszulöschen. Umgekehrt kristallisiert sie durch diese Arbeitsweise aber gerade die jeweilige Essenz heraus, die unser Erinnern überhaupt in Gang setzt. Stars wie Marlene Dietrich, Marilyn Monroe, Rita Hayworth, Joan Crawford und viele andere waren zu Lebzeiten und darüber hinaus schillernde, mediale Ikonen. Gleichzeitig gab es aber viel über ihre privaten Schattenseiten zu berichten – wie der Suizid Marilyn Monroes, das Enthüllungsbuch von Joan Crawfords Adoptivtochter oder die Tatsache, dass Rita Hayworth bereits mit 43 Jahren an Alzheimer erkrankte. Diese verschiedenen Facetten eines Stars beleuchtet Cosima Hawemann durch die Erschaffung einer neuen Rolle mittels manueller Bildbearbeitung. Es entsteht sozusagen ein dunkler Zwilling. Dieser evil twin komplettiert jedoch erst die Persönlichkeit, so wie Licht ohne Dunkel nicht sein kann, Tag nicht ohne Nacht, Ebbe nicht ohne Flut.

Technisch bewegen sich die Arbeiten von Cosima Hawemann zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Hawemann, die von 1997 bis 2004 an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, bewegte sich schon immer zwischen diesen Polen. Deshalb wählte sie ganz bewusst unterschiedlich ausgerichtete Professoren wie Immendorff, Penck und Federle.

Für ihre Malerei scannt sie ein Foto, bearbeitet dieses am Computer und erstellt eine Schablone. Ähnlich der aus der Street Art bekannten Vorgehensweise sprüht sie mit Hilfe dieser Vorlage das Motiv auf die Leinwand. Das Ergebnis wird dann mit Acryl und/oder Ölfarbe übermalt. Die Arbeiten auf Papier entstehen ebenso auf der Basis eines Scans. Am Computer wird dann der Ausschnitt gewählt, Überflüssiges reduziert und Farben verändert. Die so entstandene Vorlage wird auf Spezialpapier ausgedruckt und mit Acryl überarbeitet. Schon in der Auswahl der Techniken spiegeln sich also Gegensätze: Analoges und Digitales sowie Freies und Schablonenhaftes wird gemischt. Positives wird zu Negativem und umgekehrt.

So souverän wie Cosima Hawemann mit verschiedenen künstlerischen Techniken jongliert, so gekonnt bettet sie Erinnerungen an kunsthistorische Epochen wie den Symbolismus oder Expressionismus in ihre Arbeiten ein. Diese Erinnerungen werden aber nie zu konkret ausformuliert, sondern klingen hier oder da durch eine Strichführung oder eine ungewöhnliche Farbwahl an. Somit endet es wie es angefangen hat: mit einem vagen Wissen, welches aber sich niemals zur handfesten Gewissheit manifestiert.

Julia Ritterskamp

Latent restlessness and indeterminacy: the works of Cosima Hawemann give rise to scenarios that elude visual reliability. They show moments and situations that refer to something that cannot be fully grasped: traces of a presence that fades into the absent.

Cosima Hawemann's solo exhibition "Inverse Empire" at Coelner Zimmer presents portraits and landscapes that all deal with the moment of inversion: the images are reminiscent of negative films, for the colors have been reversed into the complementary. The title of the exhibition, which is based on David Lynch's film "Inland Empire" (2006), opens up a broad spectrum of references and associations. On the one hand, the title can be read as a reference to the medium of film as such, for Hawemann's images, in addition to the color inversion as negatives, take up a strong film style aesthetic: an abandoned boat in the middle of a lake in dense branches, a figure on the edge of a wooded area - all subjects that seem to come from a film we are well familiar with. On the other hand, the exhibition title opens up a direct reference to Lynch's thriller, which itself operates mise-en-abyme-like: as a film within a film, which is always permeated by doublings and moments of indistinguishability between the 'played' and the 'lived,' between self and other. Hawemann also takes up the theme of doublings in her works. Thus her paintings are populated by doubles, by figures that show themselves as shadows or silhouettes. They are figures in fragmentary narratives that are triggered without being contoured.

The medial reference to film and photography is also noticeable on the technical or material level of the works. The images - especially the portraits - are mostly based on found footage (i.e., found media representations such as fashion photographs) and are processed by the artist using various procedures and materials. The technique of overpainting in particular gives the images a fragmented aesthetic and sometimes leads them into the abstract. The filmic-photographic aspect is also evident on another level, namely in the process of creating the images, which is based on a technique related to silkscreen printing. In the course of this, a polyester fabric exposed with photo emulsion is painted over with glazing layers, with the result that some areas remain transparent and allow the fabric to shine through. In this way, a moiré effect is created: optical interference resulting from the relation between the photograph and the painting.

Superimposition thus becomes a present gesture in Hawemann's works. But it is not only the layers of material and color that interfere with each other, but also the views: the inside and the outside. The view of the figures and landscapes from the outside becomes a perceptual image, an interior view. In this way, the paintings incessantly generate déjà vus: the landscapes addressing the lonely and the portraits embracing the uncanny are always reminiscent of something that remains undefined. In this way, they perpetuate scenarios that accomplish both at the same time: Making perceptible and erasing, referring and withdrawing, manifesting and dissolving.

Svetlana Chernyshova

DOPPELGANGER and the corruption of memory

Cosima Hawemann’s exhibition Doppelganger is about recognition and the corruptibility of memory.

The German word ‘Doppelgänger’ means literally ‘double goer/walker’ and is used to describe a second person or ghostly apparition that looks identical to the subject. Hawemann, herself a German, has deliberately used the anglicised spelling “doppelganger” to align it to popular culture usage as her source images are drawn from screen idols and contemporary advertising.

Across the ages, there has been a superstitious belief that there must be personal or spiritual characteristics shared between two unrelated persons who look the same, whether they are alive during the same era, or exist centuries apart. We imbue the double with similar qualities to the original, and vice versa. This assumed link between the doubles has been a recurring theme in folklore and literature for centuries, then more recently in film, and is often a harbinger of misadventure or misfortune.

Hawemann, however, uses ‘doppelganger’ in a metaphoric sense rather than literal. Her doppelganger is our memory of who we believe a public figure is. She exploits the publicity images of famous stars from the early 20th century and contemporary advertising to demonstrate the vulnerabilities of our memory.

These photographs in their original state are carefully crafted illusions of glamour, privilege and mystique that have been selected for their sense of drama and pose. Hawemann is deliberate in not naming her subjects, except by using the initials of their real name (as opposed to their assumed name). One of Hawemann’s subjects, Marlene Dietrich, was a master of using lighting, makeup and costuming to dramatic effect; she also understood how important they were to preserving her iconic image as she aged. Hawemann is conscious of the teams of professionals who worked to create the public faces of these idols, who she describes as being unnahbar (unapproachable/unattainable). As viewers, we begin to take the fiction as fact and believe that the star’s projected life is connected to the real life.

By altering the light and shadows of the images with overpainting, Hawemann’s art reduces or negates the professionals’ illusions and in the process, she confuses our recognition of once familiar faces. The struggle to recall their features creates a feeling of unease: our memory is piqued, but we are denied the comfort of immediate identification and with that the narrative we attach to that idol.

Hawemann’s deliberate manipulation of an image’s lighting acts to flatten the subject’s features to the point where she is not immediately recognisable and her emotional state has become ambiguous. Is that face sad, fearful or vacant? The extreme bleaching of colour from the face - as would be the case under an intense spotlight – suggests a death mask. The real woman’s presence diminishes as her glamorous public doppelganger takes precedence.

In an age where social media has placed the image centre stage, there is an abundance of people pouting and come-hithering into their mobile phones. Through these narcissistic filter-processed selfies, the average mortal attempts to emulate the glamour and appeal of mega-icons and to present their lives as something it may not be. For some, these selfies become their own doppelganger that they hope will mask their own normal lives, but in the end, they only increase their sense of isolation. For the viewer it can be impossible to tell where fact and fiction merge; our orientation becomes confused as it becomes increasingly difficult to cross-check the narrative being spun.

The disquiet created by Hawemann’s altered glamour images highlights the importance we give to our memory of people in our daily lives. We piece together images and information with each interaction, from which we build our own picture of who we think they are. With such weight placed on the link between the infallibility of memory and our sense of Self, when our recall is interrupted we begin to question the reliability of our own memory and eventually, our own sanity. Rarely do we stop to consider that memory is a capricious beast and that some of what we take on face value as truth, has in fact been fabricated.

Ultimately, the face that is projected publicly may not reflect the private reality, and our ability to recognise someone is not infallible. Once the memory of a face is corrupted, so too is the narrative we hold of the subject.

Doppelganger was first exhibited in Germany in May at the KÖLNISCHES STADTMUSEUM Zündorfer Wehrturm, Cologne. This solid stone tower was built in the 12th century and is thought to be the oldest secular building in the region. The exhibition comprising 49 paintings, an artist book and a box of six small paper works was conceived to suit its intimate spaces. Complementing the ‘doppelganger’ portraits, the life-size painting of the chandelier contributes to the atmosphere and sense of luxury and the painting of the waterfall provides a ‘view’ to an imagined exterior where no window exists, while possibly alluding to the inner drama of the women’s real lives. Despite the confined scale of the rooms forcing the viewer into close proximity with the paintings, the subjects remain out of reach, forever unattainable.

Copyright 2016 Karen Zadra. All rights reserved.

A FOREST. A solo exhibition by Cosima Hawemann

I think the tree is an element of regeneration which in itself is a concept of time. Joseph Beuys

The forest looms large in the German imagination to the extent that over the past 200 years, it has become synonymous with German national identity. In Australia, too, the bush defines how we see ourselves so it is therefore fitting to stage this exhibition A Forest by German artist, Cosima Hawemann to begin a conversation on the connection between nature and ourselves.

In Germany, the Romantics associated the forest with Nature, regeneration, strength and spirituality and these associations have largely endured. Some notable examples of artists, composers and writers across the ages who have been inspired by forests include Richard Wagner, Robert Schuman, Caspar David Friedrich, Wolfgang Goethe, Joseph Beuys, Anselm Kiefer and Gerhard Richter.

The Australian experience was slower to warm to unique qualities of the bush. Early Europeans viewed the bush with suspicion and fear; colonial artists applied European picturesque visual devices in order to tame the ‘unruly and ugly’ Australian landscape. It would take over one hundred years with the advent of the Heidelberg School that Australian European artists – and subsequently Australians – embraced the landscape of Australia and sense of pride through landscape developed.

In German fairy tales, the forest is a metaphor for personal transformation. Losing their way in a large, deep forest, the characters only emerge again once they have discovered their true purpose or have overcome some fateful temptation. Several of the old fables recorded by the Grimm Brothers took place in a forest, which was often cast as a foreboding or terrifying stage for the story. Similarly in Australia, the bush was seen as a vast and hostile place. Scores of explorers set off to discover inland seas and gold; many never returned. For Indigenous Australians, however, the bush was home and alive with ancestral spirit figures.

Today, one third of Germany is covered in forests, with half of all forests privately owned. So cherished is the ideal of forests that citizens have a right to enter any forest at any time, but in return for free access, they have reciprocal care responsibilities. The forest has also taken on great economic significance, with forestry turning over €170 billion per annum and providing 1.2 million jobs – 500,000 more than the automotive industry. In contrast, much of inland Australia is relatively uninhabited, the bush remains untouched and forestry has yet to find a commercial use for the gnarled desert trees that populate the outback.

For almost two decades, Hawemann’s fertile imagination has returned regularly to the forest. On the subject, she says:

I started working on the topic of the forest in 1998 when I walked into the woods with canvas, pigments, brushes and equipment like that to paint directly on site ... Germans are fascinated by forests, because that´s what Germany looked like before the Romans showed us how to build roads. Germany was one huge forest. I grew up with the fairy tales of the Grimm Brothers. As far as I know they were written down for adults, but everybody was reading these creepy stories to children. And then you can hear all those unknown voices or sounds of animals when you take a walk in the woods. And you can´t see very far.

For this exhibition, A Forest, Hawemann uses images taken during visits to the Eifel forest, and to Schlosspark at Museum Schloss Morsbroich where she was exhibiting – like Gerhard Richter before her. Hawemann inverts the colour photograph to create vibrant, psychedelic negative of reality that transform into a strange and exotic enchanted forest. The ghosts of ancient myths begin to emerge from the undergrowth and awaken our childhood memories of bedtime stories of forest alive with more than just trees and deer: fairies, goblins, witches, trolls, hermits, knights, castles, lone cottages, abandoned children, magic and danger.

“Early tomorrow morning, we’ll take the children into the deepest part of the forest. We’ll make a fire and give them a piece of bread, and then we’ll go to work and leave them there. They’ll never find their way back to the house and we’ll be rid of them”, said Hänsel and Gretel’s step-mother. (from Hänsel and Gretel by Brüder Grimm).

In Hawemann’s forest paintings on paper, the swirling other-worldly colours create a sense of disorientation that cuts the viewer off from the humdrum of daily life, allowing us to cross the threshold from the known into the unknown. Hawemann skilfully creates an atmosphere of wonder and fear, excitement and doom; our reaction will largely depend on our own state of mind. Look at those magnificent, glowing trees! What shall we find? How do we get out? Is that something lurking in the shadows? Or is it just our mind playing tricks on us?

The only tangible link to the real world is Hawemann’s painting on canvas “Untitled, 2017”. With the cleared foreground, it seems that this tree stands on the edge of the forest, a lone fence post is our anchor to civilisation. The tree’s solid trunk is strong and reassuring, but the leaves take on a water-like quality, as does the choppy white of the foreground, perhaps hinting at what lies beyond if we enter.

Being lured or drawn into the forest by something unseen in the hope of finding hidden riches, rewards, true love or enlightenment is a common theme in mythology, both in Germany and Australia. Passing through the heart of the forest or bush becomes a rite of passage, a metaphor for transcendence. The failure to pass through to the other side, or to remain forever lost, signifies a loss of courage or a weak character.

With A Forest series, Cosima Hawemann plays with the contradictory dynamics of the wonder invoked by being surrounded by tall, majestic trees, and our fear of being lost forever in dense, dark forest among dangerous animals and creatures that never completely reveal themselves. Interestingly, only one animal – a horse – appears in this series; its unexpected form against a soft pink and bronze background is almost Monty Pythonesque after the suggestive shadows and black skies of the other works.

Although the majority of the works themselves are small in size, the scale implied in the works is important and is used to dramatic effect. The photos which have been taken from a low angle looking up to the canopy act to dwarf the viewer: the upward thrust of the tree trunks tapering towards dark skies trigger in us a neurotic reversion to the vulnerable lost child we identified with as we listened in awe to those spooky fairy tales.

Whether in life or in art, there is no denying the power of a forest.

Karen Zadra, 2017

 COSIMA HAWEMANN

Leer und verlassen, mitunter unbetretbar erscheinen die oft lichtarmen, hermetischen Räume, die Cosima Hawemann (geboren 1971 in Köln, lebt in Köln) in ihren Leinwandarbeiten vor Augen stellt. Ebenso einfach wie suggestiv ist die tiefenräumliche Konstruktion dieser weltfernen, isolierten Orte. Karg ist auch das 2010 gemalte Teezimmer, frei von jeder Opulenz, ist es kein Ort kultivierter Zurückgezogenheit. Dominiert wird der flache bühnenartige Raum von einem altertümlichen vierarmigen Leuchter. Er hängt über einer rotbraunen Tischplatte, die bis auf eine kleine, die Symmetrie des Bildes irritierende grüne Frucht leer ist. Dieser Leuchter scheint der eigentliche Bewohner dieses Raumes zu sein, wie eine Erscheinung, ein Eindringling schwebt er über dem Tisch, vier Kerzen oder kerzenförmige Lampen tragend. Dürftig ist ihr gelb-kaltes Licht, es erhellt den Grundfarbton des Raums nur unwesentlich, verwandelt ihn in ein trübes Rosa-Violett, das wiederum von einer organisch gerundeten, dunklen Form eingefasst, eingeengt wird. Zwischen diesem hängenden, lastenden Schatten und der Tischkante bildet sich eine Zone intensivierter Leere, ein Bereich besonderer Unwirklichkeit. Zunächst ahnt man sie, später werden sie sichtbar, erst als Schemen, dann immer deutlicher: drei Figuren hinter dem Tisch, aufgereiht, starr, überraschend klein. Sie sind in der Malerei verschwunden, getilgt von vertikalen Pinselstrichen, gleichwohl bewahrt das Bild eine Erinnerung in Gestalt deutlicher materieller Spuren (eine Art Kruste des Farbmaterials). Sie sind unvollständig gelöschte, abwesende Anwesende, Ahnungen von Insassen, Nachbilder vormaliger Präsenz. Die Malerei hat sie vorübergehend sichtbar werden und auch wieder verschwinden lassen; die Malerei hat sie aufgehoben, in Schatten von Schatten verwandelt.

Für eine umfangreiche, seit 2009 entstehende und teilweise unter dem Titel Doppelgänger zusammengefasste Serie kleinformatiger Papierarbeiten dienen Cosima Hawemann diverse fotografische Vorlagen – journalistische und historische Bilder, Werbefotos aus Illustrierten, private Aufnahmen und auch von ihr inszenierte Szenen– als Malgrund. Im Prozess ihrer aneignenden Überarbeitung mit Pinsel und Farbe, der aus dem vertrauten reproduzierbaren Oberflächenbild ein ganz vom subjektiven Zugriff der Künstlerin geprägtes Einzelbild macht, entzieht Cosima Hawemann den Fotografien nach und nach den Raum, befreit die Bilder von allem Zufälligen, Überflüssigen, lässt Grenzen verschwimmen, verfinstert die Vorlagen durch Farbentzug (in den schließlich sichtbaren Bildern dominieren eine reiche Skala von Grautönen, variantenreiches dunkles Grün- und Blaugrau, fahles Rosa). Sie isoliert die Figuren bis sie mitunter ganz von gemalter Dunkelheit, Schatten, einer Mandorla aus Düsternis umgeben sind. Es entstehen erschreckende, unheimliche, mitunter auch groteske Erscheinungen, die die Malerei wie eine anonymisierende Maske, eine fratzenhafte Larve tragen. Ihre Gesichter sind um ihre individuellen Züge gebracht, ihrer Attraktivität beraubt, manche aber bleiben erkennbar, bleiben durch die Übermalung hindurch Marilyn Monroe oder Grace Kelly. Sind diese  beiden prominenten Bildgestalten – tatsächlich Stars im Sinne des Hellen und Leuchtenden -  schon zu Lebzeiten durch intensive mediale Ikonisierung in Doppelgänger ihrer selbst verwandelt worden, so erzeugt Cosima Hawemanns Übermalung Doppelgänger dieser Images, fiktionalisiert gewissermaßen die bekannten Bilder noch einmal, indem sie diese durch Verdüsterung umstülpt, aus ihnen fremde, widergängerische evil twins macht. Bei allen ihren malerischen Anverwandlungen auch anonymer Personen entstehen diese dunklen Doppelgänger der Fotografierten, nun unter der Farbe Verborgenen. Mit den Mitteln der Malerei legt die Künstlerin eine andere, nachtseitige Ansicht des fotografischen Lichtbildes offen; zumindest nebenbei scheint in diesen (Wieder)Aneignungen des  fotografischen Bildes durch die Malerei auch die alte Frage nach dem Verwandtschaftsgrat der beiden Medien auf. Cosima Hawemanns manuelle Bildbearbeitungspraxis  transferiert das fotografische Ausgangsbild aus seiner wohl vertrauten Sphäre medialer Alltäglichkeit in eine fremde (Un-)Wirklichkeit. Selbst frühe, das fotografische Bild sehr stark zurückdrängende Übermalungen lassen die mediale Herkunft noch ahnen. Neuere Arbeiten exponieren stärker den direkten Zusammenstoß zwischen fotografischen und malerischen Bildteilen. Schroff stehen die verschiedenen medialen Realitäten nebeneinander und versetzen die Figuren in ein nicht zu verortendes Nirgendwo, machen diese Zwiebilder zu Bildern nach dem Leben.

Jens Peter Koerver

(Katalogtext zu Zeitgespenster, Museum Morsbroich, Leverkusen, 2012)

IN A ROOM WITH NO WINDOW

Installation von Cosima Hawemann und Simon Schubert

Cosima Hawemann und Simon Schubert zeigen in der gemeinsam entworfenen Rauminstallation „In a Room with no Window“ neue Arbeiten von verstörender Dichte und suggestiver Ausstrahlung. Der Besucher betritt einen Raum, der den Anschein und die Atmosphäre hat von etwas, das sich wie ein Traum, ein Albtraum materialisiert hat: dunkel, unheimlich, gleichzeitig voller Geheimnisse und Herausforderungen. Cosima Hawemann zeigt an den mit dunkelgrün tapezierten Wänden neue Malereien und kleinformatige Übermalungen aus zwei gerade entstandenen Serien: „La Voix Humaine“ und „Shadowplay“. Die erste, angelehnt an die Verfilmung des gleichnamigen Ein-Personen-Stücks von Jean Cocteau, nimmt Stills mit der einsam telefonierenden Ingrid Bergmann zum Ausgangsmaterial. Hawemann bearbeitet zunächst die Originalfotos im Computer, wobei sie in Farbigkeit, Kontraste und Hintergrund zum Teil stark eingreift und allein dadurch ihre Atmosphäre verstärkt. Anschließend übermalt sie die Ausdrucke und überzieht sie mit malerischem Duktus, so dass kabinetthafte Gemälde entstehen, die ein merkwürdiges, aber durch und durch beherrschtes Leben zwischenVergangenheit und Zeitlosigkeit führen. Die zweite Serie besteht aus malerischen Paraphrasen über Fotografien, deren Ausdrucksstärke durch die zum Teil gestischen Übermalungen drastisch gesteigert wird. Auch die größeren Formate bedienen sich Siebdruck, Schablonen und Print von Fotografien, die hier aber aus ihrem persönlichen Umfeld sind bzw. eigene Aufnahmen. Bei ihnen ist die Malerei pastos und von manchmal quälender Ausdruckssteigerung, gleichzeitig aber in ihrer Zerbrechlichkeit und Sensibilität von verführerischer Schönheit. In vielfacher Hinsicht erscheinen Paradoxe: Das Telefon zieht das Gegenüber aus der Ferne in greifbare Nähe. Es bleibt Einbildung, Die Telefonierende einsam. Malerei und fotografische Vorlage verschmelzen zu Überwirklichkeit, die trotzdem unnahbar bleibt. Und schließlich Simon Schuberts jüngste Multiple-Serie von Schlüsseln, deren Ring das eigene Schloss ist. Der Besucher bleibt konfrontiert mit eigenen Ängsten, Bildern, Unauflöslichkeiten.

Zu Schuberts Schlüsseln, die aufgereiht wie eine zerlegte Wirbelsäule auf einem von schwarzen Haaren bedeckten flachen Tisch stehen, kommt die Skulptur eines niedrigen Sessels. Beide stehen auf einem dunklen Teppich aus lebendem Moos, dessen Schillern und unruhiges Changieren eine Entsprechung in der Tapete an den Wänden hat. Schließlich ruht auf einem breiten Bleisockel die spektakulärste Skulptur der Ausstellung: Ein menschlicher Schädel im Verhältnis 1:1, den Schubert aus einem massiven Block Grafit geschnitzt und anschließend matt poliert hat. Er ist nicht rein naturalistisch, sondern stilisiert und erfährt durch das Einbohren einer schlüssellochf.rmigen Öffnung am Hinterkopf eine ihn gleichzeitig abstrahierende Nüchternheit.

Simon Schubert und Cosima Hawemann studierten beide an der Kunstakademie Düsseldorf und leben in Köln. Diese jüngste Rauminstallation ist die Fortsetzung eines labyrinthisch sich ausbreitenden Gesamtkunstwerkes, an denen die Künstler seit Jahren arbeiten.

Franz & Nadia van der Grinten, Januar 2016

deuce

Cosima Hawemann und Simon Schubert

Nachahmung und Innovation, Kontinuität und Umwälzung  sind die Gewichte, die die Entwicklung der Kultur in Bewegung halten, sie sind der Plus- und der Minuspol, aus dem die Dynamik der künstlerischen Entwicklung ihre Energie bezieht. So kann etwas scheinbar Altbekanntes in einer Nachschöpfung zu etwas völlig Neuem werden, so wie es z.B. bei Picassos Interpretationen von Velasquez oder Delacroix der Fall ist. Vor allem bei den aktuellen künstlerischen Positionen, zu denen Cosima Hawemann und Simon Schubert unbedingt zu zählen sind, steht nicht die Erneuerung sondern eher das Ausloten und Ausschöpfen vorhandener, aber noch nicht angeeigneter Inhalte und Methoden im Mittelpunkt, denn die Neuerungen der Moderne sind äußerst komplex.

„Deuce“, schon der Titel der Ausstellung irritiert und muss nachgeschlagen werden und das erregt leicht den Verdacht des Elitären. Aber Deuce gründet auf dem Stammwort Duo – Zwei –, soweit, so klar, hier stellen zwei Künstler gemein-sam aus. Doch die Bedeutungen des Wortes Deuce sind vielfältig. Anfangs stand es für eine Zwei beim Würfeln. Aufgrund des niedrigen Werts kam die übertragene Bedeutung „Zwickmühle“ hinzu und  umgangssprachlich meint es den Teufel, „what the deuce – was zum Teufel... „ Beim Tennis hingegen meint es den Ausgleich der Punkte zwischen den Spielern. Aber wer spielt hier mit wem?  Der Titel der Ausstellung gibt also Rätsel auf und Rätsel und Fallen sind eines der Stilmittel der künstlerischen Moderne und immer gehen uns dabei unsere so geliebten Gewissheiten ins Netz. Schon der Begriff „Künstler“ als eine autonome, schöpferische Persönlichkeit ist in der Moderne zweifelhaft und die Daten der Raumsonden loten unsere Stellung in einem sich stetig ausdehnenden All als mehr oder weniger zufällig und unbedeutend aus. Wir sitzen im Abseits irgendeiner Milchstraße und unsere ehemaligen ewigen Wahrheiten und Glaubenssätze sind Makulatur: unsere neue Heimat heißt wie eine Arbeit von Cosima Hawemann „Entropia“. Entropie ist ein Begriff aus der Physik und er meint vereinfacht die geschlossenen Systemen innewohnende Gesetzmäßigkeit zu Unordnung und Auflösung. Wir liegen mit uns selbst im Widerstreit, aber diese Gegen-sätze sind Antriebsmodule und so finden wir sie auch in der Ausstellung. Bei diesem Schaukampf  geht es für den Besucher vor allem darum, sich nicht aufs Glatteis führen zu lassen, sondern, „what the deuce“, den Teufel bei den Hörnern zu packen. Schon 2009 begann Cosima Hawemann an einer Serie zum Thema Doppelgänger zu arbeiten und so entstanden erste Zwielichtwelten auf Papier, Gestalten zwischen Tag und Traum, die dem Schauerroman entsprungen sein könnten. Der Doppelgänger ist eine Erfindung der Romantik und wie so vieles aus dem romantischen Geist entspringt er letztlich dem Wunsch, die Wirklichkeitsgrenzen aufzuweichen. Die Einmaligkeit und die Echtheit der uns umgebenden Welt werden in Frage gestellt. Nicht umsonst benutzt Hawemann hier das Medium der seriell gefertigten Phantasieprothesen. Aus Standbildern, Dekorationsstoffen oder Fototapeten gefertigt stellt Hawemann ihre Fallen auf und wir gehen gewohnheitsmäßig auf den Köder. Wir verheddern uns in Hawemanns Pinselstrichen, tappen durch ihre Farbnebel, schwindeln an den Kanten zwischen Fotografischem und Gemaltem und dieses Vage und Unscharfe spiegelt uns unsere Alltagsgewissheiten und die Gegenstände unseres Strebens und Wünschens als Gaukeleien wider. Auf Hawemanns Gemälde „Teezimmer“ hängt ein altertümlicher, vierarmiger Leuchter über einer rotbraunen Tischplatte. Aber das ist kein romantisches „Tea fort wo“, die Lichter kreischen im expressiven Malduktus auf und erinnern an den aufgerissenen Mund in Edward Munchs Gemälde „Der Schrei“, ´der nordisch expressive Akkord von Gelb-Rosa-Violett schlägt gegen das Gewicht der Schatten, von denen er als dieser Schrei widerhallt. Eine von einer nackten Glühbirne angestrahlte Frau vor der Schäbigkeit einer Dekortapete lässt die existenzialistische  Ausweglosigkeit aufleben, wie wir sie von den Gemälden Francis Bacons her kennen und aus einem sich ausbreitenden Dunkel leuchtet uns ein Paar Augen entgegen. Da gibt es keine Horizonte. Wir befinden uns in „Entropia“, in einem Raum ohne Aussicht,  "In a room with no window“ , wie eine gemeinsame Installation von Cosima Hawemann und Simon Schubert lautet.

Simon Schubert verkehrt Hawemanns Prozesse des in Bewegung Setzens durch ein rationales „zu Ende Denken“ in das Gegenteil. Objekte, die wie Türen oder Vorhänge sowohl verschließen als auch den Zugang erlauben können, dienen hier ausschließlich dem Aussperren. Türblätter, die mit dem Rahmen der Zarge verbunden gleichsam die Wände eines Kasten artigen Objekts bilden, fungieren aus ihrer ehemaligen Funktion entlassen als neue Wirklichkeit und ihr Symbolgehalt wird in sein Gegenteil verkehrt. Die Symbolik der Tür ist alt und sie reicht von den Toren des Paradieses oder Blaubarts verbotener Tür bis zu jener, die man hinter sich zuwirft. Genau genommen wissen wir von einer Tür nie, ob sie uns ein- oder ausschließt, ihr Gott Janus hat zwei Gesichter. Aber diese Ambivalenz ist bei Schuberts Türobjekt ausgehoben: von diesen Türen werden wir eindeutig ausgesperrt. Sie mutieren von Zugängen zu den Wänden eines Raums, den wir niemals betreten werden. Auch die aufgespannten Schirme, die als die konvexen Ausschnitte einer Kugeloberfläche von Schubert zu einem Kokon gefügt werden, schließen uns aus. Sie igeln sich ein, das abweisende Schwarz tut das Seinige. Das Thema des Nicht- Teilhabens wird in dem Tabernakel artigem Objekt „die verbotene Reprobation“, einem mit Vorhängen abgeschirmten Bezirk variiert, auch dahinter haben wir nichts zu suchen. Hier sind es das Erlesene des Stoffs, das Samt artige seiner Beschaffenheit und das Priesterliche seiner Farbigkeit, die über unser ausgeschlossen Sein keinen Zweifel aufkommen lassen. Mit dem Objekt „Ava“ beleiht Schubert das Motiv von Rene´Magrittes Gemälde „Die verbotene Peproduktion“: einen Spiegel, der nicht das Spiegelbild einer gespiegelten Person sondern deren Rückenansicht aus unsere Netzhaut-Perspektive wiedergibt. Wieder sind wir ausgeschlossen, diesmal, und das ist besonders fatal, durch unsere eigene Sicht der Dinge. Der Spiegel als Tür zu einer parallelen Welt, wieder ein romantische Symbol, wird bei Magritte in sein Gegenteil verkehrt wird: uns allen bleibt lediglich eine Wiederholung unserer eigenen Ansicht und das Ausge-schlossen sein durch die nicht zu ändernde Art unserer Anschauung. Aber bei Schubert erfährt das Gedankliche von Magrittes Motiv durch die Objekthaftigkeit und dreidimensionalen Fassbarkeit und sinnlichen Dinglichkeit der „Ava“ eine Aufwertung als „Realität“. Also jenes Zusammenspiels unserer 5 Sinne, die uns auf den Köder der Falle gehen lassen. Die Anmut ihrer Erscheinung, das makellose Styling der Figur mit der Frisur einer ägyptischen Königin. Sie wird sich nicht zu uns umdrehen. In einer Epoche, die vor allem äußere Grenzen zu über- winden sucht, führt uns Schubert exemplarisch die verbotenen Bezirke vor. Und wer weiß, vielleicht sollten wir auch besser draußen bleiben, denn Hawemann gab uns eine Ahnung davon, was uns dort erwarten könnte: die Geisterbahn unserer eigenen Schattenbezirke. All das, was wir hinter Blaubarts verbotener Tür vermuten, aber jede Vermutung ist der Fingerabdruck unserer ganz eigenen und persönlichen Phantasie. Diese von der Kette gelassenen Phantasien sind unser Anteil, aber sie haben Hawemanns farbige Nebel und Schuberts Verbote als Voraussetzung: Wünschen und Fürchten sind Geschwister, sie steigen aus dem Unbewussten und nicht Opportunen auf und dort wo die Nebel sich senken, da sind wir wieder auf dem Boden unserer menschlichen Zwickmühle angekommen: in einem Fenster losen Raum. Hawemann und Schubert spielen mit unseren Programmierungen, im Inneren fühlen wir uns gefangen und im Draußen als ausge-schlossen. Diese Ambivalenz ist die Batterie, Verbot und Wunsch sind ein „perpetuum Mobile“ und versetzen uns in die Höhle des Löwen, jenem Biest, das wir selber sind und das uns den Ausgang versperrt. Aber jede Mauer ist ein Tor, sagt Waldo Emerson, Plus und Minus arbeiten in uns und das Spiel zwischen Verstand und Gefühl geht weiter. Ein Remis, ein Unentschieden, wird es nicht geben, aber wir können den Punktstand verbessern und aufholen, vielleicht bis zum Pari-Pari, dem Deuce.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Dieter Laue

Illusion der Wirklichkeit

Cosima Hawemann überschreitet in ihren Bilderfindungen die Grenzen zwischen Malerei und authentischem Kitsch, High und Low, Kunst und alltäglicher Werbegrafik. Ihre intermedialen Arrangements suchen Anschluss an das wirkliche Leben und zitieren bewusst aus der reizüberfluteten Bild-Umwelt der Nichtkunst, die uns täglich umgibt. Um kunstfremde Alltagsmaterialien in ihre Bilder zu integrieren, verwendet die Künstlerin das traditionelle Prinzip der Collage.

Cosima Hawemann wählt aus Werbeprospekten, die in Millionenauflage in unsere Haushalte gelangen, bewusst Abbildungen aus, die sie ausschneidet, Details isoliert und in ihre Kunst einbezieht. Die Sehgewohnheiten des Betrachters werden irritiert und Kommunikationsstrategien alltäglicher Gebrauchsästhetik hinterfragt. Die Materialbilder kombinieren figürliche Malerei, Zeichnung und Fotografie. Die Konfrontation der Gegensätze und die Disparität der Bildsprache schaffen Spannung und ironische Distanz. Ein ordinärer Wurstring erscheint als Heiligenschein über einem reduziert gezeichneten Nonnenportrait. Die ornamental überladene herkömmliche Tapete des Bildhintergrundes verleiht der absurden Situation eine banale Ebene. Linie und Fläche, Ornament und Figur verursachen formales Ungleichgewicht und kontrastreiche Bildaussagen. Profanes verwandelt sich zu Einzigartigem und Außergewöhnliches erhält den Charakter des Absurden. Es findet eine Umwertung der Werte statt, die alles zur Kunst und analog ebenso zur Illusion erklärt. Das kitschige Inselmotiv einer Fototapete wird in grellen, plakativen Farben übermalt, ein vermeintliches Paradies als Scheinwahrheit entlarvt, und die Ästhetik der industriell produzierten schönen Welt ad absurdum geführt.

Für die 59. Bergische Kunstausstellung in Solingen tapeziert die Künstlerin die weiße Museumswand mit einer Bildtapete im Backsteinmuster. Die haptische Beschaffenheit der Baumarktware ist reliefartig und trägt zum illusionären Spiel um seiende und scheinende Existenz bei. Die putative Mauer wird zur Präsentationsfläche, die den realen Raum einbezieht. So werden einerseits die Grenzen des Tafelbildes überwunden, andererseits neue Darstellungsebenen erschlossen, die als Bild im Bild fungieren und der Malerei eine exponierte Plattform bieten. Den unkonventionellen Rahmen für ein Portrait bildet ein Stück herausgerissene Tapete, die den Malgrund in Form einer Mandorla freilegt und die hermetische Geschlossenheit der Mauer aufbricht. Die Art der Präsentation erinnert an die Ästhetik von Trash. Die Verschränkung verschiedener Bildträger und Sehebenen bezieht den realen und illusionären Raum bewusst ein und verwirrt den Blick des Betrachters. Die Fototapete einer Birkenallee dient der Künstlerin als Malgrund, den sie mit schwungvoller Pinselführung und maigrüner greller Farbe bearbeitet. Die Baumstämme und ein sandiger Weg bleiben als fotografiertes Abbild von Wirklichkeit sichtbar und korrespondieren mit der monochromen gestischen Malerei. Die komplex aufgebauten Arrangements von Cosima Hawemann fordern die Wahrnehmung über den rein visuellen Akt des Wiedererkennens hinaus. Der Betrachter muss die illusionistischen Bilder-Träume der Fotografie und die vielschichtig zusammenhängenden Bild-Räume in Beziehung zueinander setzen. Die Künstlerin sprengt die Grenzen der verschiedenen Medien, analysiert den Wahrheitsgehalt von Bildaussagen, hinterfragt die Relation von Illusion und Wirklichkeit und definiert grundlegende Fragen der Kunst und der Malerei neu.

Gisela Elbracht-Iglhaut

(Katalogtext zum Bergischen Kunstpreis 2005, Museum Baden, Solingen)

Texts

KÜNSTLERPORTRAIT IM KULTURRADIO RBB
So 14.10.2018 | 14:04 | Feature
Funkenflug im Zwischenraum
Drei Positionen zeitgenössischer Malerei
Von Merzouga
Regie: Merzouga
Produktion: rbb 2018
- Ursendung -
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COSIMA HAWEMANN

INVERSE EMPIRE

Latente Unruhe und Unbestimmbarkeit: die Arbeiten von Cosima Hawemann lassen Szenarien entstehen, die sich einer visuellen Verlässlichkeit entziehen. Sie zeigen Momente und Situationen, die auf etwas verweisen, das sich nicht gänzlich greifen lässt: Spuren einer Präsenz, die ins Abwesende übergeht.

Cosima Hawemanns Soloausstellung „Inverse Empire“ im Coelner Zimmer präsentiert Portraits und Landschaftsbilder, die allesamt mit dem Moment der Umkehrung hantieren: die Bilder erinnern an Negativfilme, denn die Farben wurden ins Komplementäre gekehrt. Der an David Lynchs Film „Inland Empire“ (2006) angelehnte Titel der Ausstellung eröffnet dabei ein breites Spektrum an Referenzen und Assoziationen. So kann der Titel zum einen als ein Verweis auf das Medium des Films als solchen gelesen werden, denn Hawemanns Bilder greifen, neben der Farbumkehrung als Negative, eine starke Filmstilästhetik auf: ein verlassenes Boot inmitten eines Sees im dichten Geäst, eine Figur am Rande eines Waldstücks – allesamt Sujets, die wie aus einem uns wohlvertrauten Film entstammen. Zum anderen eröffnet der Ausstellungstitel einen direkten Bezug zu Lynchs Thriller, der selbst mise-en-abyme-artig operiert: als ein Film im Film, der stets von Dopplungen und Momenten der Ununterscheidbarkeit zwischen dem ‚Gespielten‘ und dem ‚Gelebten‘, zwischen Selbst und Anderem durchzogen ist. Die Thematik der Dopplungen greift auch Hawemann in ihren Werken auf. So sind ihre Bilder von Doppelgängern bevölkert, von Gestalten, die sich als Schatten oder Silhouetten zeigen. Es sind Figuren in fragmentarischen Narrationen, die angetriggert werden, ohne eine Konturierung zu erfahren.

Der mediale Bezug zu Film und Fotografie macht sich auch auf der technischen bzw. materiellen Ebene der Arbeiten bemerkbar. Die Bilder – insbesondere die Portraits – gehen zumeist auf Found Footage (also vorgefundene mediale Darstellungen wie z.B. Modefotografien) zurück und werden von der Künstlerin unter Verwendung unterschiedlicher Verfahren und Materialien bearbeitet. Insbesondere die Technik des Übermalens führt dazu, dass die Bilder eine fragmentierte Ästhetik erhalten und teils ins Abstrakte hinübergleiten. Das Filmisch-Fotografische zeigt sich des Weiteren auf einer anderen Ebene, nämlich im Entstehungsprozess der Bilder, der auf eine dem Siebdruck verwandte Technik zurückgeht. Im Zuge dessen wird ein mit Fotoemulsion belichtetes Polyestergewebe mit lasierenden Schichten übermalt, was zur Folge hat, dass einige Stellen transparent bleiben und das Gewebe hindurchscheinen lassen. Auf diese Weise wird ein Moiré-Effekt erzeugt: optische Interferenzen, die sich aus der Relation zwischen der Fotografie und der Malerei ergeben.

Die Überlagerung wird damit zu einer präsenten Geste in Hawemanns Werken. Doch sind es nicht nur die Material- und Farbschichten, die miteinander interferieren, sondern auch die Ansichten: das Innen und Außen. Der Blick von außen auf die Figuren und Landschaften wird zu einem Wahrnehmungsbild, einer Innenansicht. So erzeugen die Bilder unentwegt Déjà-vus: die das Einsame adressierenden Landschaftsbilder und die das Unheimliche umspielenden Portraits erinnern stets an etwas, das unbestimmt bleibt. Damit schreiben sie Szenarien fort, die zur gleichen Zeit beides vollziehen: Wahrnehmbar-Machen und Auslöschen, Verweisen und Entziehen, Manifestieren und Auflösen.

Svetlana Chernyshova

COSIMA HAWEMANN

Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. … Die Außenwelt ist die Schattenwelt …

(Novalis 1798 [1])

Masken

Der Mund steht mit sinnlichem Ausdruck halb offen, die tiefschwarzen Nasenlöcher wirken wie ausgeschnitten. Aus schattigen Augenhöhlen, die das Grau der düsteren Umgebung angenommen haben, blicken herausfordernd zwei übergroße Pupillen. Den ganzen Rest des Gesichts, sogar die Lippen, bedeckt eine rosige Paste. Seit 2009 entwickelt Cosima Hawemann eine große Werkgruppe von Übermalungen: kleinformatige Papierarbeiten auf der Basis von fotografischen Vorlagen aus Magazinen oder auch privaten Aufnahmen, die sie einscannt, am Computer bearbeitet und dann ausdruckt, um sie als Malgrund zu verwenden.

Was auf den ersten Blick an kosmetische Gesichtsmasken erinnert, ist Acrylfarbe. Hawemann legt sie dick auf, mit geschwungenen Pinselstrichen, die den Rundungen von Kinn, Augenbrauen und Stirn folgen. Konsistenz und ungleichmäßige Verteilung lassen an Thanaka denken, die gelblich-weiße Baumrindencreme, die Asiaten pastos mit den Fingern auftragen, um ihr Gesicht vor der Sonne zu schützen. Sind es natürliche Inhaltsstoffe, die unerwartet eine Hummel angelockt haben und damit das von der Maske verdeckte Gesicht noch surrealer erscheinen lassen?

Es ist nicht wirklich anzunehmen, dass hier ein Gesicht vor UV-Strahlen geschützt oder gereinigt und mit einer „Schönheitsmaske“ optimiert werden soll. Im Gegenteil scheint es Cosima Hawemann darum zu gehen, von äußerlicher Perfektion und Oberflächlichkeit abzulenken, die Fassade des zurechtgemachten Gesichts zu hintergehen und auf das Innere zu zielen. Auch wenn sich das paradox anhört: Sie legt den Porträtierten Masken aus Acrylfarbe auf, um etwas von dem zum Vorschein zu bringen, was unter beiden Schichten – der aus Acryl und der aus (geschminkter) Haut – verborgen liegt, etwas vom Kern einer Person, auf den alle ernsthaft betriebene Porträtkunst abzielt.

Zu Recht haben Kritiker illusionistischer, bloß auf Ähnlichkeit angelegter Porträts angeführt, dass sich diese Bildnisse in schlichter Oberflächenwahrheit erschöpften und oftmals inhaltsleer seien.[2] Seit jeher ist das Porträt ein Findungsprozess, ein subtiles Freilegen oder auch betontes Hervorkehren solcher Züge, die man charakteristisch nennt, weil sie Rückschlüsse auf den Charakter einer Person zulassen. Das Schminken als alltägliche Handlung ist ein ritueller Akt der Verwandlung, der Transformation des Ichs beziehungsweise der Erschaffung eines anderen Selbst(bildes). Werbung, Hochglanzmagazine und Soziale Medien treiben die Inszenierung einer Parallelwelt des – modischen Schönheitsidealen angepassten – Alter Egos voran. Cosima Hawemann geht mit ihrer Überformung des Gesichts einen anderen Weg.

Die Gesichter, die sie sich vornimmt, beraubt sie ihrer Attraktivität und teils auch ihrer Wiedererkennbarkeit. Mit betont subjektivem Zugriff ermächtigt sie sich dieser Bilder und entfernt sie von der ursprünglichen Vorlage, verdichtet und verfinstert sie. Indem die Künstlerin das Antlitz weitgehend verdeckt, stört sie konventionelle Darstellungs- und Rezeptionsmechanismen. Sie verwehrt dem Betrachter den herkömmlich gesuchten Zugang zur Individualität der Porträtierten über das „ähnliche“ Gesicht und lässt andere, bisher nicht gesehene Seiten der vorgestellten Personen erahnen. Mit künstlerischem Spürsinn, der sich gleichermaßen auf forschende Neugierde, Empathie und ein Instrumentarium stützt, das die Porträtkunst über die Jahrhunderte ausdifferenzierte, dringt Cosima Hawemann in psychische, emotionale und historische Tiefen vor. Damit erschließt sie einen Weg, der seit Novalis als Weg der Überwindung der Oberflächlichkeit durch eine (erneute) Romantisierung der Welt gekennzeichnet ist: der „geheimnisvolle Weg“, der ins Innere des Menschen führt.

 

Ich bin ein anderer

(Rimbaud 1871[3])

Spiegelungen

Der klassische Ort der Selbstbefragung, eine Bühne der Selbstinszenierung sowie des spannungsreichen Abgleichs zwischen Außensicht und Innenschau, Eigen- und (gewünschter) Fremdwahrnehmung ist der Spiegel. Mit der Maske gemeinsam ist ihm der Effekt der Irritation, die einen aus dem (fast traumwandlerisch) unreflektierten Stadium der Selbstvergessenheit rüttelt und das Selbst zur Disposition stellt. Im Spiegel wird das Selbst zum Projekt, an dem man arbeiten kann und vielleicht auch muss.

Wie sich Narziss gegen die Wasseroberfläche beugt – in dem Wunsch, seiner Spiegelung nahezukommen und sich mit seinem (abgespaltenen) Spiegel-Ich (wieder) zu vereinen –, so rückt in Cosima Hawemanns Gemälde Spiegelung von 2018 ein schwarz gekleideter, androgyn wirkender Protagonist seinem Spiegelbild ganz nahe. Fast berühren sich im Bild die beiden Stirnpartien. Eindringlich fixiert die sich vorbeugende Figur aus nächster Nähe die Augen ihres Gegenübers, das ihr aufs Haar gleicht, in seinen Konturen aber merkwürdig aufgelöst scheint und sich dem Betrachter zuwendet, ihn einbezieht. Die gewählte Perspektive lässt die beiden Körper – der eine frontal, der andere im seitlichen Profil gegeben – derart auseinander treten, dass man zunächst zwei Personen zu sehen meint. Sie sehen sich erstaunlich ähnlich. Wie die beiden ihre Köpfe zusammenstecken, vielleicht um ganz im Vertrauen zu sprechen, könnte man sie für Zwillinge halten.

Das wäre durchaus naheliegend im Kontext des Œuvres von Cosima Hawemann, die sich seit Jahren in der Serie Twins intensiv mit der Identität von Zwillingen auseinandersetzt: Was heißt es, wenn im Fall von eineiigen Zwillingen das unteilbare „Individuum“ von vorneherein als Dividuum zu verstehen ist, als geteilte Einheit zweier, die ihr Leben lang auf besondere Weise miteinander verbunden bleiben? Und wie stellt sich diese Verbundenheit dar, wie lässt sie sich zeigen? Im Bild zweier Zwillingsschwestern, einem überarbeiteten Print von 2017, gehen deren identische Kleider so ineinander über, dass die beiden zu einer – fast siamesisch wirkenden – Einheit verschmelzen und sich zu zweit eine linke und eine rechte Hand zu teilen scheinen.

Neben dem Zwillingsthema klingt in der merkwürdigen Begegnung zweier halb verschatteter Gestalten auch Cosima Hawemanns 2009 begonnene Werkgruppe der Doppelgänger nach. Zwillinge oder Doppelgänger – hier wie dort führt die Außenperspektive unwillkürlich zu Verwechslungen. Man muss schon genauer hinsehen, um den einen vom anderen unterscheiden zu können. Die Ähnlichkeit könnte im Gemälde ohne Titel von 2018 so weit gehen, dass die Person in Schwarz sogar selbst in ungläubiges Staunen darüber gerät, wie nah ihr vermeintlicher Doppelgänger ihr doch kommt. Das würde den prüfenden Blick aus der Nähe nötig machen.

In ihrer Serie der Doppelgänger setzt Hawemann mit ihren Übermalungen von Filmstills ein Spiel mit Identitäten und Rollen in Gang. Im Zuge der medialen Stilisierung zu Hollywood-Ikonen[4] werden Schauspieler*innen auch im realen Leben auf ihre Rolle reduziert. Auf diese Art erhalten sie einen Doppelgänger, der sich von der eigentlichen Person trennt und verselbstständigt.[5] Und wie die Fotografen internationaler Magazine für ihre Modestrecken mitunter bewusst die ebenso glamouröse wie abgründige Filmwelt als atmosphärische Referenz aufrufen, so verwandelt Cosima Hawemann durch ihre Überarbeitung von Modefotografien wie zum Beispiel derjenigen einer nun ergrauten Blondine die dort posierenden Frauen in zwielichtige Schattengestalten. Die Dame mit Federboa könnte einem Film von David Lynch entsprungen sein – als sei sie eine dunkle Doppelgängerin, ein evil twin des fotografierten, nun unter die Bemalung verdrängten Models.

Dass die merkwürdige Situation eines Treffens zweier fast identisch aussehender Gestalten in Hawemanns Gemälde von 2018 als Spiegelung zu betrachten ist, erschließt sich wohl erst beim zweiten oder dritten Blick, sobald man nämlich zwischen den Schuhen der beiden Figuren die lineare Kante entdeckt, die den Raum vor der bodentiefen Spiegelwand vom Spiegelbild trennt. Der lichte Bereich, der die doppelte Figur umgibt und als Blick aus einem dunklen Innen- in einen lichten Außenraum zu lesen war, ist nun aber im Rücken des Betrachters anzunehmen und lässt damit an Platons Höhlengleichnis denken. Schein und Wirklichkeit sind am Spiegel nur einen Blick voneinander entfernt. Sie sind als zwei Seiten einer Person aufzufassen, die ursächlich zusammenhängen und doch im Moment des Spiegelblicks auseinanderfallen können.

Vermitteln hier bei aller Nähe die hinter dem Rücken verschränkten Hände eine gewisse Distanziertheit, so gerät der Spiegelblick in dem ebenfalls 2018 entstandenen Gemälde Spiegelung zu einem spielerischen Ringen, einem Tanz von Anziehung und Abstoßung. Wenn die übertrieben theatralische, wie ein Zitat aus alten Stummfilmen wirkende Pose zusammen mit dem ovalen Spiegel eine Herzform bildet, ist in dem Werk unschwer eine weibliche Reprise des Mythos von Narziss erkennbar.

Seit der Rezeption durch Sigmund Freud steht Narziss nicht mehr nur für Eitelkeit und Selbstliebe, sondern auch für die Suche nach Selbsterkenntnis.[6] Mittlerweile wird Narziss als Urvater heute exzessiver Selbstdarstellung und -vermarktung gedeutet, die in den Sozialen Medien zwanghafte Züge annehmen kann. In einer Gesellschaft von Narzissten[7], die in ihr Spiegelbild vernarrt sind und dieses fast unablässig und digital grenzenlos verbreiten, lassen sich Cosima Hawemanns Arbeiten auch als Appell zur Besinnung, zur Abkehr von eitlen Äußerlichkeiten verstehen: „Mit ihren Gemälden wirft Hawemann Steine in den Teich des Narziss, und die gekräuselte Oberfläche gibt uns Gelegenheit zu fliehen.“[8] Im Oval des Spiegels erscheint in Hawemanns Spiegelung von 2018 ein gespenstisch verzerrtes Gesicht, durch die Übermalung entstellt, wie maskiert oder teilweise aufgelöst: ein Subjekt, das sich entzieht, das den Schein seiner oberflächlichen Ich-Identität durchschaut hat und im Prozess der Selbstreflexion das Andere in sich erkennt.[9]

Die Kunst ist ein „Ort der permanenten Konferenz“

(In Abwandlung eines Zitats von Joseph Beuys[10])

Konferenzen

 

Cosima Hawemann eignet sich in ihrer Serie der Übermalungen Bilder an und verwandelt sie. Sie unterzieht die aus Modemagazinen entnommenen Vorlagen einer kritischen Bildanalyse und Metamorphose. In den inszenierten Modestrecken findet sie zum Teil bereits Anlagen, die auf Vorbilder aus Film oder Kunst zurückverweisen. Diese entwickelt sie weiter, reichert sie durch neue Aspekte an oder wendet sie in etwas Anderes. Wenn Hawemann die gescannten und vorbearbeiteten Fotografien mit ihrer eigenen Handschrift überformt, steht aber auch die Künstlerin ihrerseits in Kontakt mit all denjenigen, die sich bereits ähnlichen Herausforderungen bei der künstlerischen Annäherung an komplexe Identitäten gestellt haben.

Wie die Modefotografen mitunter bekannte Bildkonzepte aufrufen, um damit verbundene Assoziationsräume zu eröffnen, so konsultiert Hawemann ihrerseits bei ihrer künstlerischen Deutung der vorgestellten Personen den einen oder anderen Kollegen aus der langen Geschichte der Porträtmalerei. Dadurch gewinnen ihre Protagonisten nicht nur psychologische, sondern auch kunsthistorische Tiefe. Jedes einzelne Bildnis wird verhandelt zwischen dem Model, dem Fotografen, verschiedenen Gewährsleuten aus Foto-, Film- und Kunstgeschichte, der Künstlerin und schließlich uns als Betrachtern. Das Ergebnis sind Mischwesen, Chimären[11] – hervorgegangen aus einem vielstimmigen Prozess, einer Art Konferenz (lt. conferre: zusammentragen, vergleichen), die uns eine Person in ihrer Vielschichtigkeit vorstellt, im Kräftefeld multipler Identitäten und Projektionen.

Wenn in der Modefotografie bemerkenswerterweise (und im Gegensatz zur privaten Fotografie) so gut wie nie gelacht wird und die Künstlerin bei ihrer Sichtung des Materials zudem das Phänomen der förmlichen Vereinzelung des Models vor der Kamera beobachtet, bringt sie in ihren Übermalungen die dort angelegte Vereinsamung umso mehr zum Vorschein: Teils sehen wir ihre Figuren nachdenklich oder finster grübelnd, teils in sich gekehrt oder ganz in sich verschlossen. Wir beobachten sie im Cafè hinter einer reflektierenden Scheibe und erinnern uns an Filmszenen der Selbstverlorenheit und Distanzierung von der Außenwelt. Sie erscheinen versonnen am Fenster oder in entleerten Interieurs, und wir werden wie bei Edward Hopper stille Zeugen eines langsamen Prozesses, in dem sich auch im Inneren der Menschen eine entsprechende Leere ausbreitet.

Aus nächster Nähe sehen wir eine Rothaarige im verengten Bildfeld und Hawemann erzeugt eine unvermittelte Präsenz, die ein Déja-Vù auslösen kann. Durch das intime Interieur legt sie den Vergleich mit den Protagonistinnen der Gemälde Jan Vermeers nahe.

Erinnerungen an die atmosphärisch aufgeladenen Innenräume Felix Vallotons mit ihrer eindringlichen Licht- und Farbregie in Rot, Schwarz und Grau ruft ein besonderes Doppelporträt auf, in dem ein Herr in Abendgarderobe innige Blicke mit einem (vermutlich seinem) Hund tauscht Nicht nur bei Zwillingen, auch bei Hund und Herrchen weiß man von ganz besonderen Verbindungen und einem wechselseitigen Verständnis, das keiner Worte bedarf. Der Austausch zwischen den beiden kann wie der Blick in den Spiegel auch Anlass zur Selbstbefragung geben – entfernt vergleichbar einer psychologischen Sitzung, in der das Tier mit seinen Blicken „nur“ die richtigen Fragen anzustoßen braucht, um den Menschen auf Des Pudels Kern (so der Titel) und damit auf den Weg der Selbsterkenntnis zu führen.

Während eine weitere Introvertierte, ganz in Schwarz und theatralisch ausgeleuchtet in einer bühnenhaften Szenerie sitzt und an die schonungslosen, kantigen Porträts Max Beckmanns denken lässt, scheinen Hawemanns Figuren in vielen Arbeiten mit dem Umraum zu verschmelzen. Sie befinden sich in einem Prozess der Auflösung, der sie einer klaren Festlegung entzieht, sie permeabel und wandelbar macht. Der durchdringende Seitenblick einer Brünetten bringt die (Selbst-)Porträts des belgischen Symbolisten Leon Spilliaert in Erinnerung. Es sind beunruhigende Bilder des Zweifels des modernen Subjekts an sich selbst. Dabei verschwimmen die klaren Konturen der Figur, die braunen Haare verschmelzen mit dem düsteren Hintergrund. Ein türkisfarbener Umhang wird in der wässrigen Übermalung transparent und verliert seine Stofflichkeit.

Immer wieder findet Cosima Hawemann auch Wege, den im Unbestimmten belassenen und zugleich mit der Figur verbundenen Außenraum als suggestiv-geheimnisvollen Resonanzraum psychischer Vorgänge erfahrbar zu machen. Mal strahlen ihre Figuren auratisch in den Raum aus und lassen Werke Edvard Munchs nachklingen. In diesen sind Figur und Raum derart verschränkt, dass der Außenraum als von den Emotionen des Menschen durchströmte Seelenlandschaft erscheint. Dann wieder lässt Hawemann mit der Eigendynamik flüssig aufgetragener Pigmente ihre Figuren in das Umfeld im wahrsten Sinne des Wortes ausfließen – als könnten sie sich über die Grenzen des Körperlichen hinwegsetzen.

Der moderne Mensch will schaudern – nicht, weil er dadurch in seinen Grundfesten verunsichert werden würde, sondern weil er just dadurch in seinen Grundzügen gefestigt wird.[12] (Daniel Hornuff 2017)

Nachtgestalten

Durch ihre Übermalung fiktionalisiert, man könnte auch sagen romantisiert Cosima Hawemann ihre Vorbilder. Sie legt mit den Mitteln der Malerei die Kehr- und Nachtseiten der fotografischen Vorlagen offen, entfremdet uns die mehr oder weniger bekannten Figuren aus Mode, Werbung oder Film. Fotografische und malerische Bildteile zeigen uns zwei verschiedene, überlagerte und sich reibende Bilder ein- und derselben Person. Dabei kippt das Vertraute ins Fremde, ins Unheimliche: „Schroff stehen die verschiedenen medialen Realitäten nebeneinander und versetzen die Figuren in ein nicht zu verortendes Nirgendwo, machen diese Zwiebilder zu Bildern nach dem Leben“.[13]

Gleichzeitig löst Hawemann die Interieurs in düstere Farbräume auf, in denen vampirhafte Nachtgestalten erscheinen in denen sich Schatten melodramatisch ausbreiten und ein Eigenleben zu führen beginnen wie in den Stummfilmen von Friedrich Murnau, in Klassikern des Grauens wie Nosferatu, in denen bleiche Gesichter kurz aus dem Dunkel aufscheinen wie theatralische Visionen eines Mephisto Diese Räume entziehen sich der rationalen Kontrolle, sie gleiten ab ins Unbekannte und werden zum Ausdruck einer existentiellen Verunsicherung.

Auch hier weiß Cosima Hawemann um die Tradition der unheimlich werdenden Innenräume in der Kunstgeschichte von Edvard Munch über Léon Spilliaert bis Max Beckmann, in der „Raumverdunklungen und -deformierungen immer auch von den Deformationen künden, denen das moderne Individuum ausgesetzt ist“.[14] Sigmund Freud hat die Stichworte für eine Interpretation des Unheimlichen als räumliches Phänomen gegeben: Er sah das Unheimliche nicht als das Fremde, sondern als das Vertraute, das durch den Prozess der Verdrängung entfremdet wird, dann aber wieder auftaucht als geisterhafter Wiedergänger.[15] Der Innenraum, das Heim wird zum Ort der Heimsuchung durch die Angst, aber auch zu deren Mitspieler und Resonanzraum.

Und Hawemann beschwört solche Wiedergänger mit dem Pinsel herauf wie einst die Geisterfotografen des 19. Jahrhunderts den Moment mit der Kamera festhielten, in dem sich ein Geist im organisch geformten Ektoplasma materialisierte: Wenn sich in ihrem Gemälde 4.18-4.48 (das „E.M.“ im Titel verweist auf eine fotografische Vorlage Edvard Munchs); an der Wand hinter einer sitzenden Frau eine phantomhafte Gestalt aus vermeintlich zufälligen Farbverläufen abzeichnet, glaubt man einer Séance beizuwohnen. Nimmt die Dame gerade Kontakt mit einer Seele aus dem Jenseits auf? Oder sehen wir so etwas wie ihre dunkle Seite, ein unsichtbares Alter Ego einer Person, wie es Hawemann in einigen der Papierarbeiten andeutungsweise zur Erscheinung bringt oder schemenhaft erahnen lässt ?

Auch in ihrem Gemälde No. 8 provoziert und lenkt Hawemann den Zufall. Sie lässt nicht nur die dunklen Haare, sondern auch die Konturen von Schulterpartie und Arm der Figur derart in die giftigen Türkis-, Braun- und Schwarztöne des fleckig wabernden Umraums verlaufen, dass man den Eindruck haben kann, die nach vorne maskenhaft-verschlossen wirkende Frau öffnete sich nach hinten oder löse sich dort auf. Auf den zweiten Blick glaubt man ein monströses Wesen zu erkennen, das ihr hinterrücks düstere Gedanken eingibt.

In ihren menschenleeren Wald-Bildern, einer Werkgruppe von 2016/17 [16], vermittelt Cosima Hawemann in dichten Strukturen und flirrenden, ins Negativ gekehrten Farben ein Gefühl der Desorientierung. Die Irritation reißt den Betrachter aus seinem Alltag, lässt ihn die Grenzen ins Unbekannte überschreiten und eintauchen in eine Welt, die ebenso wundervoll wie aufregend, unheilschwanger und romantisch erscheint. Hier verläuft man sich (gerne), um geläutert zurückzukehren. Der Weg durch den Wald ist in der Romantik eine Metapher der persönlichen Transformation, letztendlich immer auch die Spiegelung innerer Prozesse in den Außenraum. In diesem Sinne ist auch Hawemanns Gemälde No. 5 durch und durch romantisch, wenn in der künstlerischen Gestaltung seines Protagonisten dessen Schattenseite sich mit dem Ausfließen der schwarzen Übermalung in allen Richtungen scheinbar unaufhaltsam zu einer Art Dickicht ausbreitet. Wie im Falle des romantischen Motivs des Doppelgängers weichen die enggezogenen Wirklichkeitsgrenzen auf, die Identität wird in Frage gestellt und öffnet sich ins Vage.

Cosima Hawemanns Bilder gehen von einer handfesten, gewissermaßen fotografisch belegten Realität aus und sind doch durchdrungen von einer Atmosphäre des Zweifels, der Verunsicherung und des Ungefähren. Die Art und Weise, wie sie die abgebildete, durch die Modefotografie gefilterte Wirklichkeit in Frage stellt, könnte man „Spekulativen Realismus“ nennen, eine abgründige Spielart des Realismus, die in den letzten Jahren in Gestalt einer „Neuen Schwarzen Romantik“ in Erscheinung“ trat. In Christoph Tannerts Berliner Überblicksausstellung zu diesem Phänomen hätten sich Hawemanns Arbeiten bestens eingefügt – in eine Reihe von zeitgenössischen Positionen, die gemäß der bekannten Dialektik der Aufklärung die Geister wieder heraufziehen lassen, deren Bilder den „Anschein dunkler Geheimnisse“ erwecken, indem sie „Realität und Surrealität vermischen“. [17]

Der Blick in psychische Abgründe, der Einbruch des Unheimlichen, die Zuspitzung vorgefundener (Bild)Realitäten auf das Imaginäre hin, auf das radikal Subjektive, auf das hinter dem schattenhaften Äußeren liegende Innere lassen uns Cosima Hawemann als Romantikerin im Geiste erkennen. Und sie erfassen uns mit ihrer Unruhe, ihrer kalkulierten Lust am Schaudern und ihrem bohrenden Blick auf das Andere, das hinter den Masken auch in uns schwelt.

Dr. Fritz Emslander

Kurator und kommissarischer Leiter des Museum Morsbroich, Leverkusen

[1] Novalis: Blüthenstaub [1798], 16. Fragment; zit. nach Ders.:Die Christenheit oder Europa und andere philosophische Schriften, Köln 1996, S. 103.

[2] Vgl. Fritz Emslander: Ich kann den Mann wegen der Ähnlichkeit nicht erkennen. Zeichnerische Positionen zur Aufhebung der Ähnlichkeit Im Porträt. In: Kunstforum International, Bd. 216 (Gesicht im Porträt/Porträt ohne Gesicht), Juli/August 2012, S. 108–119.

[3] Arthur Rimbaud: Œuvres complètes, hrsg. von Antoine Adam, Paris 1972, S. 248 f. (Brief vom 13.5.1871).

[4] Es entstanden u.a. Serien zu Marilyn Monroe (NJB, 2011), Grace Kelly (GK, 2013) und Marlene Dietrich (MMD, 2014).

[5] Der Schauspieler Ryan Gosling beschrieb diesen Effekt in einem Interview für die ZEIT vom 13. Mai 2015: „Manche Figuren in Filmen hinterlassen einen derart starken Eindruck, dass sie einen in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit einfach übernehmen.[...] Du wirst zu deiner Rolle. Es ist wirklich eine merkwürdige Erfahrung. Es gibt plötzlich da draußen (...) diesen Menschen mit meinem Namen, der mir nicht mehr gehört. Dieser Mensch gehört dem Publikum. (...) Er ist mein Doppelgänger. Er ist mein böser Zwillingsbruder“; zit. nach https://www.zuendorfer-wehrturm.de/wehrturm/Bilder/Cosima_Hawemann.pdf.

[6] Zu Adaptionen des Narziss-Mythos in der zeitgenössischen Kunst: Der Spiegel des Narziss. Vom mythologischen Halbgott zum Massenphänomen. Ausst.-Kat. Galerie im Taxispalais, Innsbruck 2013.

[7] Zum Narzissmus als Charakteristikum unserer heutigen Gesellschaft vgl. Bernhard Maaz: Die narzisstische Gesellschaft. Ein Psychogramm, München 2012

[8] Karen Zadra anlässlich der Ausstellung Cosima Hawemann: MirrorrorriM, Galerie Zadra, 2018: “Through these paintings, Hawemann has tossed a stone into Narcissus’s pond, its rippled surface providing an opportunity for us to escape”; zit. nach https://www.galeriezadra.com/exhibition/cosima-hawemann/mirrorrorrim.

[9] Die „Entgrenzung, Veränderung, Verdinglichung, Spaltung und Auflösung“ der Identität als zentrales, in der Kunst reflektiertes Problem „am Ende des 20. Jahrhunderts“ verhandelt der Katalog der Ausstellung Ich ist etwas Anderes, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2000; zit. Armin Zweite: Ich ist etwas Anderes. In: ebd., S. 27–50, hier S. 28.

[10] Vgl. Joseph Beuys: Das Museum – ein Ort der permanenten Konferenz, in: Horst Kurnitzky (HG.): Notizbuch 3. Kunst. Gesellschaft. Museum, Berlin 1980, S. 47–74, hier S. 56. Spätestens seit den Diskussionen um die Postmoderne fassen Künstler die vergangene Kunst als „ihnen zur Verfügung stehendes Arsenal“ auf und sehen ihr Kunstschaffen im Kontext einer „mehrdimensionalen Situation, die sowohl das Gefüge der gleichzeitigen Erscheinungen … umfasst, als auch die vertikalen Dimensionen der Allgegenwärtigkeit vergangener Kunstformen“, wie Udo Kultermann bereits früh feststellte (Geschichte der Kunstgeschichte, Frankfurt a. M. 1981, S. 412 f.). Heute, da ein unerschöpflicher Bilderpool medial verfügbar ist, gilt dies umso mehr.

[11] Cosima Hawemanns Einzelausstellung bei Kaune Contemporary in Köln 2019 trug den Titel „Grazile Chimären“.

[12] Daniel Hornuff: „Und aus der Erde singt das Kind“ – Schaudern als Kulturtechnik. In: Neue Schwarze Romantik – Düster-Hedonismus mit Eleganz. In: Neue Schwarze Romantik. Ausst.-Kat. Künstlerhaus Bethanien 2017, S. 21–25, zit. S. 24.

[13] Jens Peter Koerver: Cosima Hawemann. In: Ausst.-Kat. Zeitgespenster. Erscheinungen des Übernatürlichen in der zeitgenössischen Kunst, Museum Morsbroich, Leverkusen, 2012, S. 80.

[14] So Stephan Berg in seinem Vorwort zu Unheimlich. Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann. Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, 2016, S. 7.

[15] Sigmund Freud: Das Unheimliche, 1919; vgl. hierzu Volker Adolphs: Orte der Angst. In: Ausst.-Kat. Unheimlich 2016 (wie Anm. 14), S. 10–31, bes. S. 14 f.

[16] Vgl. hierzu Karen Zadras Einführung zur Ausstellung A Forest, Galerie Zadra 2017; abrufbar unter https://cosimahawemann.de/text/.

[17] Christoph Tannert: Neue Schwarze Romantik – Düster-Hedonismus mit Eleganz. In: Neue Schwarze Romantik. Ausst.-Kat. Künstlerhaus Bethanien 2017, S. 12–15, zit. S. 14 f.

COSIMA HAWEMANN

Landscreen

Cosima Hawemann’s chosen title for this exhibition is as provocative as it is evocative. She rarely provides a prescriptive artist statement about her work, preferring instead to give a few key concepts and leaving the interpretation to the viewer, knowing that the interpretation will be influenced by the viewer’s own knowledge, memories, and belief systems. The absence of an artist’s statement (the viewer’s security blanket) can make for an intriguing – and at times disturbing – experience as one gazes upon her mysterious and often untitled scenes.

“Landscreen” suggests a collision of the naturalistic and technological worlds, which is, indeed, the case. Hawemann’s starting point for each work is a digital image she takes of her surroundings. From there, the image is either printed directly onto paper or transferred onto polyester screen mesh using a photographic process involving a negative transparency the original photograph and light-sensitive emulsion.

At this point traditional painting techniques reassert themselves, but even here, Hawemann’s otherworldly colouring recalls celluloid or computer-generated colour negatives, or the holographic images we see on the back of our eyelids after looking at a strong light. This allusion to the photographic process reinforces the mediating power of the screens which have come to dominate our lives and shape our ways of seeing and interacting with the world around us.

Hawemann has been investigating memory in her work for many years. Could, then, the technological screens she uses prior to the act of painting also stand for the internal mind-screen onto which we project our memories? As to the question of fidelity, what if our memories degrade in the same way as JPGs do when they are repeatedly opened and saved?

It begs the question of how reliable our memories really are and whether we can accurately remember what we see, or whether our mind’s own processing methods act to distort and recolour elements of each captured image/memory. Just as our memories don’t perfectly capture every detail of a scene, Hawemann shifts between showing detail losses and clear focus within the same painting. The paintings, then, can be seen to stand for the behaviour of our activated memories. Thus, she provokes in the viewer feelings similar to the tension and frustration that we experience as we struggle to fill in missing information and sharpen the blurred edges of our recalled memories. We know it’s there somewhere, if only we could remember who, what, where, when … We shrug off our imperfect recall in the hope it will return later, but our failure of perfect recall continues to prick our sense of self-mastery as well as our pride.

A recent development in Hawemann’s work is the use of polyester screen mesh used in a double layer as a painting support. When painted upon, the transparency of the fabric creates a moiré effect which mimics the kaleidoscopic sensation we’ve all experienced when trying to hold a memory in our mind’s eye: As soon we focus our attention on one area, the image shifts and distorts, edges blur, warp or disappear, colours meld and change. The image/memory can never be completely frozen and forensically examined. If that is the case, can truth ever be determined based on our memory of what we have seen and are able to recall?

Further, the material behaviour of this new medium lends some qualities to the aesthetic experience that mirror viewing a screen-based image. The semi-transparency of the fabric allows for a certain amount of ambient backlighting, creating a soft, screen-like “glow”; the brighter the ambient light, the stronger the effect. Where traditional paintings are only able to reflect light due to their complete opacity, Hawemann’s polyester screen mesh works allow for both reflected and transmitted light. These works are not backed by board and may therefore change in luminance and colour tone depending on the colour of the wall they are hung on. A white wall will provide maximum luminance, while a dark wall will echo the dark mode on a mobile phone. Coloured walls may change how the painting’s colours are perceived (if this effect is considered undesirable, a white backing board will limit the painting to its neutral state).

On hearing of Hawemann’s choice of “Landscreen” for the exhibition title, it conjured for me images of tourists happily snapping away on their phones as they passed each vista on their itinerary. Interestingly, there is often evidence of a human presence, despite the absence of a figure, in Hawemann’s work – huts, boats, felled trees in a wood, a domesticated horse – but the scenes are imbued with an eery stillness suggesting desertion. Such is the behaviour of many tourists: they come briefly, take numerous photos, then desert that scene for the next. Is the only experiential  impression of that moment limited to what is recorded on their camera roll? If they spend more time looking at their screens than real life, will their memory function without digital images aiding recall; or has the camera roll and its offshoots like Instagram already made the mind-memory redundant?

It is not for Hawemann to answer those questions, but for us. Through her hybrid approach, she has transformed the age-old and seemingly innocuous genre of landscape painting into a profoundly philosophical and sensitive investigation of the 21st century’s Zeitgeist. Throughout history the available technology has shaped society and its cultural production, as it does today. In blending the old and new, the tested and experimental, Hawemann holds up a painterly mirror so that we may see ourselves more clearly, while reminding us that all may not be as it appears or as it is remembered.

Karen Zadra


ERSTSCHNEENACHT

(1 Sprech-bild)

von Daniel Kirschbaum

Mich hin-aus räumen in den Um-raum hin-ein. Wie die leise Sichel Stöckl steht, wie die Ähre windbeblasen und beschattet; mir kommt selten nur noch das Gemüt auf, diesen Wahnlauf dieser Finger als 1 Un-geschick (un-geschehen zu machen) zu betrachten. Die Begehrensnote, Begehrensnatur dieser Finger, die machen, malend machen. Fern her kommt ein Glass, ein Glühen, ein blatterbittertes Augendringen, Ein-dringen in ein Stück Natur (wolkenmarmoriert), das sich kränklich überpurpurt (Ausgehen einer hellen, festen Lampe). Mich her-aus schlagen, mich in den Wind, den Stein schlagen. Unter einem fest-zerrenden Wetter, im Außen stehen; wie es mir an den Leib rückt, Farben wirft, Steinzeug macht. Algengarben, licht und grün, mir entlang der Kehlen wachsen, sich auf-düngern, riechen machen, schmecken machen. Unerbittlicher An-fluss Schlag (von Stein, von hartem Hagel, von Mulch und steifstehendem Wind); es gibt wenig, so wenig. Und höbe ich meinen Kopf, mit diesem Staffelnacken, ich sähe Landmut, sähe Waldwut, deren drängender Knospen vieler (mennig-, ziegel-, scharlachrot), sich heben und drängen, Raum zu gewinnen. Fasslicher werden, fasslicher machen die ungefüge Gestalt zahlreicher Bäume (1 Bäume-bau). Versehrt mich auch die blaubehäbige Färbung zäher Wolkenballung, der Schritt trägt; er trägt vorüber am gewichtigen Gehölz, den Blättern die stehen in Haufen. Fern her kommt er auf, der Punkt (von Zeit- von Scheitel- und Blick) besonnenen Auszugs, gemacht mit Bütte und Blei. Müde her-schraffiert der herbstgewagte Grund gehenden Waldes; ein im Ab-fall entdichteter Duft, mählich Löcher, die freigeben den Blick auf diesen alten, eingestaubten Himmel, wirre, wüste Wolken im Zwischen zweier Phänomene heiß und kalt.

Manchmal fällt es mich an wie schleichende Schnecken, (sehend den Tag nicht mehr sehen) bei Verdunkelung der Schritt-, Handbewegung – die Tragfäule zweiter Natur; ich habe ihn oft gespürt, den kalten Zug kalter Zimmer, starrer Pinselhand, deren stockendes Staunen in novemberbemühtes Wehen überging. Ein flaches Luftziehen (ja, die Finger), knackende Acrylerosion platanenblättriger Hautschicht (Wehschicht, Schmerzschicht). Wenig mehr war dann zu tun als die Räume aufzugeben, rückenkehrend auszukehren einzukehren / wenig mehr war dann zu tun als die Mühen, die kaltende Stille zu schultern / wenig mehr war dann zu tun als sich selbst entreißend zu entreisen. Es ist ein Austarieren diagonaler Traglast, sage ich mir. 1 Arm – 1 Bein – 1 Arm – 1 Bein. Immer Hitze (das Heben der Arme bei Feuerglut) immer banges Wanken, letzter Riten in den Natur-raum hin-ein. Vorbei am Prozessieren, Promenieren der Bürger mit ihren geisterhaften, spektral-gebrochenem Gesichtswerk, der Sonntagstaatstatur, denen zuoberst, in angekalkter Oberfläche, reliefgespatelt, eine Farbe an-macht, das stille Verzweiflung verklärte Lüge sei. Grässliche, schauderhafte Wanderungen stimmenhafter Bildlichkeit sind es, welche dort so schwer einher schwanken; ein Gefühl, eine Krankheit verraten bindende, beschlagende Momenthaftigkeit intensiven Gefühls, verwirrte, gestörte Wandlungen eines Verlaufes von Wahn, Angst, Begierde in-dessen. Bruch wagen, Bruch gehen – Falltropfen 1 staudenhaften Leinwandtriebes, gewachsen, geronnen zu einem Gezeitenbecken, welches mir im Brustraum sitzt. Zwischen Jahren […] tropfender, bis es sich stülpt, bis es sich grämt, an dem Becken-Außen, mich treibt, hin-auszutreiben. Dinge, die mich mir entziehen, ausziehen, Zeichen baren Körperkleides, nach-träglicher Geographierung, Einsäumung gefüllt-gefühlter Schwere (marks of weakness, marks of woe). Allzu leere Kernleere, Beckenleere aufzufüllen, aufzusuhlen, unter einem schicklichen Himmel wandern, dessen Wolken mir die Brust voll machen, die puppenhafte Angst, Befürchtung vor Verbildung nehmen, nicht lassen, be-lassen, nehmen einen leisen Baum, seine Höhle, ein Wasser vielleicht auch und wringen es aus – mit den Geräuschen, den brechenden, den kelternden, die da so kommen. Und ich gehe diesen Schritt um Schritt (diagonal) Achsenfüße Achsenbeine, ab-geschrägt und eingewachsen das Achsentum, dieses mein Schrägachsengehen, mein Schrägachsensehen, sage ich. Flackern auf in widerspenstigem Geknoche die Finger, um-greifen den Pinselstiel, einen vagen Raum vager Linie treffend zu übersetzen. Ist es dieser Wald, der mir im Becken liegt. Der groß dauert über-dauert – zwischen Grün und Selbst die Tonspur hält. Romantisches Rauschen, Zeigedinge wie Bäume, wie Blätter, wie Gräser, Überführungsbild Wald, Zweck und Weisung (Waldweisung), Vor-weisung, vor-ältliches Überdauern, Über-gehen, 1 Leinwandmir, Pigmente, Pinsel (Ausrüstung allgemein); 1 großes Freiwaldmalen ungekannter Stimmen, Tiergeräusch und –laute. Diese Alltäglichkeitsnote, die es für mich hat, sage ich, ist ein abseitiges Alltäglichkeitsgehen, sage ich. Es schwingt da der wirbelnde Untergrund, Boden, der in zuckenden Farben die Emailleaugen (die meinen), in ein Rahmenhalten bringt. Leuchten dort die Stümpfe, behäbiges Wurzelwerk, geht mir auf ein Eigenleuchten; pigmentbestaubtes Wurzelwirken, rand-los wird der Wald mir ‘gar, der zunächst angstvolle Ein –und Übertritt wird mir jäh vertrautes Achsenwirken. Die lochgepappte Wälderdecke, durch die ein, welk gebrochen und verstoben, Strahlen fällt, der Baum, aufwärts treibend, stechend her-stellt mein Treiben in die malerische Weite. Wie versteckt, zischen fordernd Schichten, Ringe von Produktion, geht mir leise eine Ahnung auf. Es bricht ein Knacken mir die Ohren, krabbelt steil gefräßig der Käfer mit seinem mürben Rückenschild, zieht es an, hin-ein, die Ahnung, der Wille, Wald zu gehen, Wald zu sehen (again and again and again and again). Zurück fortwährend wieder der Übergang und sein Fehlen zum Wieder. Blätter mit ihrer wassergleichen Qualität (1 Wasserblattgleichnis), sich so gut eignend, einen vagen, farbgestellten Ton zu treffen; glühend das Grün, das Weiß, das Gelb und weiß ich nicht, ob all dies schon invertierte Töne sind, wirkt es so selbst gesehen, selbst-verstanden eingebracht aus der Pupillen-, Augenweite - abgezogen eingesogen, leuchtende Weite, leuchtende Breite. Blütenöffnend und ach so schwer. Hineinblickend Wolken blicken, der Himmel, er trübt sich ein.

*

     Voran-bewegen, unter diesem neuen Wald –und Heidenhimmel voran bewegen. Farbenspektrum grüngespaltener Nadeltressen, Szenerien wie immergrüne Wunschnatur, Szenerien wie meine Ellen, die sich flügelnd spreizen, einen Wund zu schatten, so fremdartige Wunderlichkeit, das mir selbst vor Selbst gram werden mag; und nestel‘ am Pinselköcher eine Auslage, ein Sortiment von Fellreiszungen vieler pinselverwertbarer Tiere zurecht, ziehe letztlich 1 Marder (zusammengeklumpte Marderhaartolle, wie im Traum), die zusammengestaucht ein Behelfsbrett, ein Schaftgelingen bildet.

     1 Licht, das spricht; aufgezogen wie ein Marsyasopfer, dem die Haut an Knöcheln flattert, verstobene Laichlingsblätter, Hängefetzen.

Und mir lacht ein müder Heidenglanz.

     Und es ist immer eine Ab-bildung, 1 Wahrnehmung von Wirklichkeit; nicht Wirklichkeit selbst, die mir da auf-geht. Worauf sonst verweisen, als: Deutsche Wälder, Fotografien, Naturschutzgebiete, Aufnahmen als Ausgangspunkt, Ausgangsbilder (trans-ferieren, trans-ferieren), Übermalung, Kom-bination aus Fotografie und Malerei, Kom-bination aus Gegenständlichem und Abstraktion, Einmaligkeit und Echtheit, Weltumgebung infrage stellen, changieren – changieren - changieren zwischen Auflösung, zwischen Manifestation, Arbeiten auf Papier, Medienverhältnis aus-loten (wieder und wieder und wieder und wieder), alltägliches Spiel alltäglicher Sehgewohnheit (the sound is deep in the dark).

     Und ich blicke, mit angezogenen Paletten-, mit Spatel; schale auf ein Wasser (1 Rührwasser), das in mir ist. 1 Akeleienwasser feiner Nervengräser, mir durch Laich und Leben gehend; es schlägt ab, scheidet ab der feine Nervenwasserntrieb, Schläfengluckern, die herrlich-hilflosen Augen und ihr interne erstocktes Flimmern; ein Immerfortgrün, welches sich auf- und nieder tut.

1 Naturwahrheit, die sich einrandet.

     Hat mir ein spätes Jahr in den Arm gelegt; ich kann ihn nicht ranken machen, den Zwischen-ton, der zwei-sam singt und mich ein-sam weisz; um-samtet mir die Augen (meine Emailleaugen) von grünem Stor um-stellt - Moosessen und Tropfen-trinken; unter diesem Himmel, der mich einnimmt.

Den Schmerzensspuren eine Blatt-, Baumwand geben.

     Bruchwand, Fallstaub: Schmaltrittaugen, die einen schwarzen Grund schwarzer Bohnen auflauern lassen (Onyxtadel), Asphodelosblütenblicken; ein schwarzes Grund-eis, an-schwebende Gefüge, die gehoben tadeln, wenn es vllt. mir die verdrieszliche Notiz über der Atemspule hält, die sich ab-dreht und in einen Dunsttaumel er-kaltender Schrittweisen kommt und mir das Leben eine Rute (Olivenzweig mit Pilzgeflecht) hält.

     Und läuft eine Tintorettoträne entlang wie Harz die Wangen am kühlen Rindenstross (den Scheitel gussabwärts).

Wachsen und Wärmen; Unvollendet-heit, Unvollendet-sein der manische Korpus der Orpheusstumpf (wie er seitwärts, oben wie unten gerissen) der Landschaft ein-steigt (wolkenvernähte, -gehängte Inkunabeln, die Gesichten schreiben; Schlaf)

     1 Giottobaum, 1 Fanal-baum, der schwelend rankt (buschig-bauchig Knäuel schmeiszt; es riechtet sich an).

So im Gehölz im Geplank unterwegs bei Knacken und Kreischen von Ästen und Knospen (just follow your eyes just follow your eyes).

     „Wolken…Heute erlebe ich den Himmel mit Bewusstsein…“ (Pessoa) Wie in 1 Vasari-Beschreibung sittlich hehr welk wimmernd und ging neben mir her mit diesen Augen; stechen mir Äste in Seiten (1 Siedekorb) meine Brust Stützbank.

    Muss mich ver-gehen; wie der Wind oben wie unten be-nimmt mich mit ent-reisend ent-reiszend. Sage mir, werden schon nicht die Feuer, die Flammen aus dem Boden brechen Narbe Erdnarbe, sich aufbeulen, blähen, Nervenflieszen, -sprengen; Ent-taktung (1 Zyklamenzunder).

Verdichte mich zu neuen Ästen, sorgenvollem Sprieszen v. Knospen, v. Schnee usw. […]

Sich entlang eines Waldbodens er-malen.

Mit seinem Moos, seinem niedrigstehenden Stau an Grün, in Flächen von Halmen zerteilt.

     Steht wiegend 1 Frau Fra Angelico-Puppe (Stock-), die sich achsendrehend wendet (un-gefüger Bühnenbau) Schwingungen Blatt für Blatt beeinträchtigt; beeinträgt mich.

     Wie 1 Fra Angelico-figur, -statuette Figurine Abdruck Gips Steinguss; eine wilde, ungehaltene Trauer in ihren Augen: „Das ist die Nacht vor dem ersten Schnee, wissen Sie“, sagt sie. Puppe, die stockt, die sich achsendrehend wendet (ungefüger Bühnen-bau): SO KANN NIEMAND STEHEN „anatomisch unmöglich […] Wartestellung, aber die Füsze nach auszen gedreht in rechtem Winkel […] das kann man nur bei Plattfüszen oder mit gebrochenen Knochen! – (das Standbein gestreckt, Spielbein im Knie gebeugt)“ (Wense über Lehmbruck)

     Aus der Ferne reift sich mir 1 Leben in Wäldern stehend in Wäldern gehend. Behutsame Andeutungen ersten Schnees "morgen soll es schneien"-nacht, Erstschneenacht.

THE GOOD GHOST

Sie scheinen aus einer anderen Welt und Zeit zu kommen und dennoch so präsent zu sein, dass sie geradezu nach uns greifen: die Figuren aus den Bildern und Papierarbeiten von Cosima Hawemann. Diese jüngsten Werke der in Köln ansässigen Künstlerin entstehen in einer ganz besonderen Kombination der Medien Malerei und Fotografie. Zusätzlich kehrt sie bei einigen von ihnen die Farbigkeit um, so dass der Effekt eines Negativs entsteht. Speziell für die Ausstellung THE GOOD GHOST dienten Portraits amerikanischer Schauspielerinnen zwischen 1850 und 1950 – wie Nance O‘Neil und Helen Hayes – sowie Models und inszenierte Modestrecken aus aktuellen Zeitschriften als Vorlagen.

Cosima Hawemann interessiert das Phänomen der Erinnerung und vor allem deren bedingte Zuverlässigkeit. Sie arbeitet sich an die Frage heran, wie viel von Maske, Frisur, Beleuchtung und Schatten man künstlerisch beeinflussen kann ohne den Wiedererkennungswert, das Erinnern gänzlich auszulöschen. Umgekehrt kristallisiert sie durch diese Arbeitsweise aber gerade die jeweilige Essenz heraus, die unser Erinnern überhaupt in Gang setzt. Stars wie Marlene Dietrich, Marilyn Monroe, Rita Hayworth, Joan Crawford und viele andere waren zu Lebzeiten und darüber hinaus schillernde, mediale Ikonen. Gleichzeitig gab es aber viel über ihre privaten Schattenseiten zu berichten – wie der Suizid Marilyn Monroes, das Enthüllungsbuch von Joan Crawfords Adoptivtochter oder die Tatsache, dass Rita Hayworth bereits mit 43 Jahren an Alzheimer erkrankte. Diese verschiedenen Facetten eines Stars beleuchtet Cosima Hawemann durch die Erschaffung einer neuen Rolle mittels manueller Bildbearbeitung. Es entsteht sozusagen ein dunkler Zwilling. Dieser evil twin komplettiert jedoch erst die Persönlichkeit, so wie Licht ohne Dunkel nicht sein kann, Tag nicht ohne Nacht, Ebbe nicht ohne Flut.

Technisch bewegen sich die Arbeiten von Cosima Hawemann zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Hawemann, die von 1997 bis 2004 an der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, bewegte sich schon immer zwischen diesen Polen. Deshalb wählte sie ganz bewusst unterschiedlich ausgerichtete Professoren wie Immendorff, Penck und Federle.

Für ihre Malerei scannt sie ein Foto, bearbeitet dieses am Computer und erstellt eine Schablone. Ähnlich der aus der Street Art bekannten Vorgehensweise sprüht sie mit Hilfe dieser Vorlage das Motiv auf die Leinwand. Das Ergebnis wird dann mit Acryl und/oder Ölfarbe übermalt. Die Arbeiten auf Papier entstehen ebenso auf der Basis eines Scans. Am Computer wird dann der Ausschnitt gewählt, Überflüssiges reduziert und Farben verändert. Die so entstandene Vorlage wird auf Spezialpapier ausgedruckt und mit Acryl überarbeitet. Schon in der Auswahl der Techniken spiegeln sich also Gegensätze: Analoges und Digitales sowie Freies und Schablonenhaftes wird gemischt. Positives wird zu Negativem und umgekehrt.

So souverän wie Cosima Hawemann mit verschiedenen künstlerischen Techniken jongliert, so gekonnt bettet sie Erinnerungen an kunsthistorische Epochen wie den Symbolismus oder Expressionismus in ihre Arbeiten ein. Diese Erinnerungen werden aber nie zu konkret ausformuliert, sondern klingen hier oder da durch eine Strichführung oder eine ungewöhnliche Farbwahl an. Somit endet es wie es angefangen hat: mit einem vagen Wissen, welches aber sich niemals zur handfesten Gewissheit manifestiert.

Julia Ritterskamp

Latent restlessness and indeterminacy: the works of Cosima Hawemann give rise to scenarios that elude visual reliability. They show moments and situations that refer to something that cannot be fully grasped: traces of a presence that fades into the absent.

Cosima Hawemann's solo exhibition "Inverse Empire" at Coelner Zimmer presents portraits and landscapes that all deal with the moment of inversion: the images are reminiscent of negative films, for the colors have been reversed into the complementary. The title of the exhibition, which is based on David Lynch's film "Inland Empire" (2006), opens up a broad spectrum of references and associations. On the one hand, the title can be read as a reference to the medium of film as such, for Hawemann's images, in addition to the color inversion as negatives, take up a strong film style aesthetic: an abandoned boat in the middle of a lake in dense branches, a figure on the edge of a wooded area - all subjects that seem to come from a film we are well familiar with. On the other hand, the exhibition title opens up a direct reference to Lynch's thriller, which itself operates mise-en-abyme-like: as a film within a film, which is always permeated by doublings and moments of indistinguishability between the 'played' and the 'lived,' between self and other. Hawemann also takes up the theme of doublings in her works. Thus her paintings are populated by doubles, by figures that show themselves as shadows or silhouettes. They are figures in fragmentary narratives that are triggered without being contoured.

The medial reference to film and photography is also noticeable on the technical or material level of the works. The images - especially the portraits - are mostly based on found footage (i.e., found media representations such as fashion photographs) and are processed by the artist using various procedures and materials. The technique of overpainting in particular gives the images a fragmented aesthetic and sometimes leads them into the abstract. The filmic-photographic aspect is also evident on another level, namely in the process of creating the images, which is based on a technique related to silkscreen printing. In the course of this, a polyester fabric exposed with photo emulsion is painted over with glazing layers, with the result that some areas remain transparent and allow the fabric to shine through. In this way, a moiré effect is created: optical interference resulting from the relation between the photograph and the painting.

Superimposition thus becomes a present gesture in Hawemann's works. But it is not only the layers of material and color that interfere with each other, but also the views: the inside and the outside. The view of the figures and landscapes from the outside becomes a perceptual image, an interior view. In this way, the paintings incessantly generate déjà vus: the landscapes addressing the lonely and the portraits embracing the uncanny are always reminiscent of something that remains undefined. In this way, they perpetuate scenarios that accomplish both at the same time: Making perceptible and erasing, referring and withdrawing, manifesting and dissolving.

Svetlana Chernyshova

DOPPELGANGER and the corruption of memory

Cosima Hawemann’s exhibition Doppelganger is about recognition and the corruptibility of memory.

The German word ‘Doppelgänger’ means literally ‘double goer/walker’ and is used to describe a second person or ghostly apparition that looks identical to the subject. Hawemann, herself a German, has deliberately used the anglicised spelling “doppelganger” to align it to popular culture usage as her source images are drawn from screen idols and contemporary advertising.

Across the ages, there has been a superstitious belief that there must be personal or spiritual characteristics shared between two unrelated persons who look the same, whether they are alive during the same era, or exist centuries apart. We imbue the double with similar qualities to the original, and vice versa. This assumed link between the doubles has been a recurring theme in folklore and literature for centuries, then more recently in film, and is often a harbinger of misadventure or misfortune.

Hawemann, however, uses ‘doppelganger’ in a metaphoric sense rather than literal. Her doppelganger is our memory of who we believe a public figure is. She exploits the publicity images of famous stars from the early 20th century and contemporary advertising to demonstrate the vulnerabilities of our memory.

These photographs in their original state are carefully crafted illusions of glamour, privilege and mystique that have been selected for their sense of drama and pose. Hawemann is deliberate in not naming her subjects, except by using the initials of their real name (as opposed to their assumed name). One of Hawemann’s subjects, Marlene Dietrich, was a master of using lighting, makeup and costuming to dramatic effect; she also understood how important they were to preserving her iconic image as she aged. Hawemann is conscious of the teams of professionals who worked to create the public faces of these idols, who she describes as being unnahbar (unapproachable/unattainable). As viewers, we begin to take the fiction as fact and believe that the star’s projected life is connected to the real life.

By altering the light and shadows of the images with overpainting, Hawemann’s art reduces or negates the professionals’ illusions and in the process, she confuses our recognition of once familiar faces. The struggle to recall their features creates a feeling of unease: our memory is piqued, but we are denied the comfort of immediate identification and with that the narrative we attach to that idol.

Hawemann’s deliberate manipulation of an image’s lighting acts to flatten the subject’s features to the point where she is not immediately recognisable and her emotional state has become ambiguous. Is that face sad, fearful or vacant? The extreme bleaching of colour from the face - as would be the case under an intense spotlight – suggests a death mask. The real woman’s presence diminishes as her glamorous public doppelganger takes precedence.

In an age where social media has placed the image centre stage, there is an abundance of people pouting and come-hithering into their mobile phones. Through these narcissistic filter-processed selfies, the average mortal attempts to emulate the glamour and appeal of mega-icons and to present their lives as something it may not be. For some, these selfies become their own doppelganger that they hope will mask their own normal lives, but in the end, they only increase their sense of isolation. For the viewer it can be impossible to tell where fact and fiction merge; our orientation becomes confused as it becomes increasingly difficult to cross-check the narrative being spun.

The disquiet created by Hawemann’s altered glamour images highlights the importance we give to our memory of people in our daily lives. We piece together images and information with each interaction, from which we build our own picture of who we think they are. With such weight placed on the link between the infallibility of memory and our sense of Self, when our recall is interrupted we begin to question the reliability of our own memory and eventually, our own sanity. Rarely do we stop to consider that memory is a capricious beast and that some of what we take on face value as truth, has in fact been fabricated.

Ultimately, the face that is projected publicly may not reflect the private reality, and our ability to recognise someone is not infallible. Once the memory of a face is corrupted, so too is the narrative we hold of the subject.

Doppelganger was first exhibited in Germany in May at the KÖLNISCHES STADTMUSEUM Zündorfer Wehrturm, Cologne. This solid stone tower was built in the 12th century and is thought to be the oldest secular building in the region. The exhibition comprising 49 paintings, an artist book and a box of six small paper works was conceived to suit its intimate spaces. Complementing the ‘doppelganger’ portraits, the life-size painting of the chandelier contributes to the atmosphere and sense of luxury and the painting of the waterfall provides a ‘view’ to an imagined exterior where no window exists, while possibly alluding to the inner drama of the women’s real lives. Despite the confined scale of the rooms forcing the viewer into close proximity with the paintings, the subjects remain out of reach, forever unattainable.

Copyright 2016 Karen Zadra. All rights reserved.

A FOREST. A solo exhibition by Cosima Hawemann

I think the tree is an element of regeneration which in itself is a concept of time. Joseph Beuys

The forest looms large in the German imagination to the extent that over the past 200 years, it has become synonymous with German national identity. In Australia, too, the bush defines how we see ourselves so it is therefore fitting to stage this exhibition A Forest by German artist, Cosima Hawemann to begin a conversation on the connection between nature and ourselves.

In Germany, the Romantics associated the forest with Nature, regeneration, strength and spirituality and these associations have largely endured. Some notable examples of artists, composers and writers across the ages who have been inspired by forests include Richard Wagner, Robert Schuman, Caspar David Friedrich, Wolfgang Goethe, Joseph Beuys, Anselm Kiefer and Gerhard Richter.

The Australian experience was slower to warm to unique qualities of the bush. Early Europeans viewed the bush with suspicion and fear; colonial artists applied European picturesque visual devices in order to tame the ‘unruly and ugly’ Australian landscape. It would take over one hundred years with the advent of the Heidelberg School that Australian European artists – and subsequently Australians – embraced the landscape of Australia and sense of pride through landscape developed.

In German fairy tales, the forest is a metaphor for personal transformation. Losing their way in a large, deep forest, the characters only emerge again once they have discovered their true purpose or have overcome some fateful temptation. Several of the old fables recorded by the Grimm Brothers took place in a forest, which was often cast as a foreboding or terrifying stage for the story. Similarly in Australia, the bush was seen as a vast and hostile place. Scores of explorers set off to discover inland seas and gold; many never returned. For Indigenous Australians, however, the bush was home and alive with ancestral spirit figures.

Today, one third of Germany is covered in forests, with half of all forests privately owned. So cherished is the ideal of forests that citizens have a right to enter any forest at any time, but in return for free access, they have reciprocal care responsibilities. The forest has also taken on great economic significance, with forestry turning over €170 billion per annum and providing 1.2 million jobs – 500,000 more than the automotive industry. In contrast, much of inland Australia is relatively uninhabited, the bush remains untouched and forestry has yet to find a commercial use for the gnarled desert trees that populate the outback.

For almost two decades, Hawemann’s fertile imagination has returned regularly to the forest. On the subject, she says:

I started working on the topic of the forest in 1998 when I walked into the woods with canvas, pigments, brushes and equipment like that to paint directly on site ... Germans are fascinated by forests, because that´s what Germany looked like before the Romans showed us how to build roads. Germany was one huge forest. I grew up with the fairy tales of the Grimm Brothers. As far as I know they were written down for adults, but everybody was reading these creepy stories to children. And then you can hear all those unknown voices or sounds of animals when you take a walk in the woods. And you can´t see very far.

For this exhibition, A Forest, Hawemann uses images taken during visits to the Eifel forest, and to Schlosspark at Museum Schloss Morsbroich where she was exhibiting – like Gerhard Richter before her. Hawemann inverts the colour photograph to create vibrant, psychedelic negative of reality that transform into a strange and exotic enchanted forest. The ghosts of ancient myths begin to emerge from the undergrowth and awaken our childhood memories of bedtime stories of forest alive with more than just trees and deer: fairies, goblins, witches, trolls, hermits, knights, castles, lone cottages, abandoned children, magic and danger.

“Early tomorrow morning, we’ll take the children into the deepest part of the forest. We’ll make a fire and give them a piece of bread, and then we’ll go to work and leave them there. They’ll never find their way back to the house and we’ll be rid of them”, said Hänsel and Gretel’s step-mother. (from Hänsel and Gretel by Brüder Grimm).

In Hawemann’s forest paintings on paper, the swirling other-worldly colours create a sense of disorientation that cuts the viewer off from the humdrum of daily life, allowing us to cross the threshold from the known into the unknown. Hawemann skilfully creates an atmosphere of wonder and fear, excitement and doom; our reaction will largely depend on our own state of mind. Look at those magnificent, glowing trees! What shall we find? How do we get out? Is that something lurking in the shadows? Or is it just our mind playing tricks on us?

The only tangible link to the real world is Hawemann’s painting on canvas “Untitled, 2017”. With the cleared foreground, it seems that this tree stands on the edge of the forest, a lone fence post is our anchor to civilisation. The tree’s solid trunk is strong and reassuring, but the leaves take on a water-like quality, as does the choppy white of the foreground, perhaps hinting at what lies beyond if we enter.

Being lured or drawn into the forest by something unseen in the hope of finding hidden riches, rewards, true love or enlightenment is a common theme in mythology, both in Germany and Australia. Passing through the heart of the forest or bush becomes a rite of passage, a metaphor for transcendence. The failure to pass through to the other side, or to remain forever lost, signifies a loss of courage or a weak character.

With A Forest series, Cosima Hawemann plays with the contradictory dynamics of the wonder invoked by being surrounded by tall, majestic trees, and our fear of being lost forever in dense, dark forest among dangerous animals and creatures that never completely reveal themselves. Interestingly, only one animal – a horse – appears in this series; its unexpected form against a soft pink and bronze background is almost Monty Pythonesque after the suggestive shadows and black skies of the other works.

Although the majority of the works themselves are small in size, the scale implied in the works is important and is used to dramatic effect. The photos which have been taken from a low angle looking up to the canopy act to dwarf the viewer: the upward thrust of the tree trunks tapering towards dark skies trigger in us a neurotic reversion to the vulnerable lost child we identified with as we listened in awe to those spooky fairy tales.

Whether in life or in art, there is no denying the power of a forest.

Karen Zadra, 2017

 COSIMA HAWEMANN

Leer und verlassen, mitunter unbetretbar erscheinen die oft lichtarmen, hermetischen Räume, die Cosima Hawemann (geboren 1971 in Köln, lebt in Köln) in ihren Leinwandarbeiten vor Augen stellt. Ebenso einfach wie suggestiv ist die tiefenräumliche Konstruktion dieser weltfernen, isolierten Orte. Karg ist auch das 2010 gemalte Teezimmer, frei von jeder Opulenz, ist es kein Ort kultivierter Zurückgezogenheit. Dominiert wird der flache bühnenartige Raum von einem altertümlichen vierarmigen Leuchter. Er hängt über einer rotbraunen Tischplatte, die bis auf eine kleine, die Symmetrie des Bildes irritierende grüne Frucht leer ist. Dieser Leuchter scheint der eigentliche Bewohner dieses Raumes zu sein, wie eine Erscheinung, ein Eindringling schwebt er über dem Tisch, vier Kerzen oder kerzenförmige Lampen tragend. Dürftig ist ihr gelb-kaltes Licht, es erhellt den Grundfarbton des Raums nur unwesentlich, verwandelt ihn in ein trübes Rosa-Violett, das wiederum von einer organisch gerundeten, dunklen Form eingefasst, eingeengt wird. Zwischen diesem hängenden, lastenden Schatten und der Tischkante bildet sich eine Zone intensivierter Leere, ein Bereich besonderer Unwirklichkeit. Zunächst ahnt man sie, später werden sie sichtbar, erst als Schemen, dann immer deutlicher: drei Figuren hinter dem Tisch, aufgereiht, starr, überraschend klein. Sie sind in der Malerei verschwunden, getilgt von vertikalen Pinselstrichen, gleichwohl bewahrt das Bild eine Erinnerung in Gestalt deutlicher materieller Spuren (eine Art Kruste des Farbmaterials). Sie sind unvollständig gelöschte, abwesende Anwesende, Ahnungen von Insassen, Nachbilder vormaliger Präsenz. Die Malerei hat sie vorübergehend sichtbar werden und auch wieder verschwinden lassen; die Malerei hat sie aufgehoben, in Schatten von Schatten verwandelt.

Für eine umfangreiche, seit 2009 entstehende und teilweise unter dem Titel Doppelgänger zusammengefasste Serie kleinformatiger Papierarbeiten dienen Cosima Hawemann diverse fotografische Vorlagen – journalistische und historische Bilder, Werbefotos aus Illustrierten, private Aufnahmen und auch von ihr inszenierte Szenen– als Malgrund. Im Prozess ihrer aneignenden Überarbeitung mit Pinsel und Farbe, der aus dem vertrauten reproduzierbaren Oberflächenbild ein ganz vom subjektiven Zugriff der Künstlerin geprägtes Einzelbild macht, entzieht Cosima Hawemann den Fotografien nach und nach den Raum, befreit die Bilder von allem Zufälligen, Überflüssigen, lässt Grenzen verschwimmen, verfinstert die Vorlagen durch Farbentzug (in den schließlich sichtbaren Bildern dominieren eine reiche Skala von Grautönen, variantenreiches dunkles Grün- und Blaugrau, fahles Rosa). Sie isoliert die Figuren bis sie mitunter ganz von gemalter Dunkelheit, Schatten, einer Mandorla aus Düsternis umgeben sind. Es entstehen erschreckende, unheimliche, mitunter auch groteske Erscheinungen, die die Malerei wie eine anonymisierende Maske, eine fratzenhafte Larve tragen. Ihre Gesichter sind um ihre individuellen Züge gebracht, ihrer Attraktivität beraubt, manche aber bleiben erkennbar, bleiben durch die Übermalung hindurch Marilyn Monroe oder Grace Kelly. Sind diese  beiden prominenten Bildgestalten – tatsächlich Stars im Sinne des Hellen und Leuchtenden -  schon zu Lebzeiten durch intensive mediale Ikonisierung in Doppelgänger ihrer selbst verwandelt worden, so erzeugt Cosima Hawemanns Übermalung Doppelgänger dieser Images, fiktionalisiert gewissermaßen die bekannten Bilder noch einmal, indem sie diese durch Verdüsterung umstülpt, aus ihnen fremde, widergängerische evil twins macht. Bei allen ihren malerischen Anverwandlungen auch anonymer Personen entstehen diese dunklen Doppelgänger der Fotografierten, nun unter der Farbe Verborgenen. Mit den Mitteln der Malerei legt die Künstlerin eine andere, nachtseitige Ansicht des fotografischen Lichtbildes offen; zumindest nebenbei scheint in diesen (Wieder)Aneignungen des  fotografischen Bildes durch die Malerei auch die alte Frage nach dem Verwandtschaftsgrat der beiden Medien auf. Cosima Hawemanns manuelle Bildbearbeitungspraxis  transferiert das fotografische Ausgangsbild aus seiner wohl vertrauten Sphäre medialer Alltäglichkeit in eine fremde (Un-)Wirklichkeit. Selbst frühe, das fotografische Bild sehr stark zurückdrängende Übermalungen lassen die mediale Herkunft noch ahnen. Neuere Arbeiten exponieren stärker den direkten Zusammenstoß zwischen fotografischen und malerischen Bildteilen. Schroff stehen die verschiedenen medialen Realitäten nebeneinander und versetzen die Figuren in ein nicht zu verortendes Nirgendwo, machen diese Zwiebilder zu Bildern nach dem Leben.

Jens Peter Koerver

(Katalogtext zu Zeitgespenster, Museum Morsbroich, Leverkusen, 2012)

IN A ROOM WITH NO WINDOW

Installation von Cosima Hawemann und Simon Schubert

Cosima Hawemann und Simon Schubert zeigen in der gemeinsam entworfenen Rauminstallation „In a Room with no Window“ neue Arbeiten von verstörender Dichte und suggestiver Ausstrahlung. Der Besucher betritt einen Raum, der den Anschein und die Atmosphäre hat von etwas, das sich wie ein Traum, ein Albtraum materialisiert hat: dunkel, unheimlich, gleichzeitig voller Geheimnisse und Herausforderungen. Cosima Hawemann zeigt an den mit dunkelgrün tapezierten Wänden neue Malereien und kleinformatige Übermalungen aus zwei gerade entstandenen Serien: „La Voix Humaine“ und „Shadowplay“. Die erste, angelehnt an die Verfilmung des gleichnamigen Ein-Personen-Stücks von Jean Cocteau, nimmt Stills mit der einsam telefonierenden Ingrid Bergmann zum Ausgangsmaterial. Hawemann bearbeitet zunächst die Originalfotos im Computer, wobei sie in Farbigkeit, Kontraste und Hintergrund zum Teil stark eingreift und allein dadurch ihre Atmosphäre verstärkt. Anschließend übermalt sie die Ausdrucke und überzieht sie mit malerischem Duktus, so dass kabinetthafte Gemälde entstehen, die ein merkwürdiges, aber durch und durch beherrschtes Leben zwischenVergangenheit und Zeitlosigkeit führen. Die zweite Serie besteht aus malerischen Paraphrasen über Fotografien, deren Ausdrucksstärke durch die zum Teil gestischen Übermalungen drastisch gesteigert wird. Auch die größeren Formate bedienen sich Siebdruck, Schablonen und Print von Fotografien, die hier aber aus ihrem persönlichen Umfeld sind bzw. eigene Aufnahmen. Bei ihnen ist die Malerei pastos und von manchmal quälender Ausdruckssteigerung, gleichzeitig aber in ihrer Zerbrechlichkeit und Sensibilität von verführerischer Schönheit. In vielfacher Hinsicht erscheinen Paradoxe: Das Telefon zieht das Gegenüber aus der Ferne in greifbare Nähe. Es bleibt Einbildung, Die Telefonierende einsam. Malerei und fotografische Vorlage verschmelzen zu Überwirklichkeit, die trotzdem unnahbar bleibt. Und schließlich Simon Schuberts jüngste Multiple-Serie von Schlüsseln, deren Ring das eigene Schloss ist. Der Besucher bleibt konfrontiert mit eigenen Ängsten, Bildern, Unauflöslichkeiten.

Zu Schuberts Schlüsseln, die aufgereiht wie eine zerlegte Wirbelsäule auf einem von schwarzen Haaren bedeckten flachen Tisch stehen, kommt die Skulptur eines niedrigen Sessels. Beide stehen auf einem dunklen Teppich aus lebendem Moos, dessen Schillern und unruhiges Changieren eine Entsprechung in der Tapete an den Wänden hat. Schließlich ruht auf einem breiten Bleisockel die spektakulärste Skulptur der Ausstellung: Ein menschlicher Schädel im Verhältnis 1:1, den Schubert aus einem massiven Block Grafit geschnitzt und anschließend matt poliert hat. Er ist nicht rein naturalistisch, sondern stilisiert und erfährt durch das Einbohren einer schlüssellochf.rmigen Öffnung am Hinterkopf eine ihn gleichzeitig abstrahierende Nüchternheit.

Simon Schubert und Cosima Hawemann studierten beide an der Kunstakademie Düsseldorf und leben in Köln. Diese jüngste Rauminstallation ist die Fortsetzung eines labyrinthisch sich ausbreitenden Gesamtkunstwerkes, an denen die Künstler seit Jahren arbeiten.

Franz & Nadia van der Grinten, Januar 2016

deuce

Cosima Hawemann und Simon Schubert

Nachahmung und Innovation, Kontinuität und Umwälzung  sind die Gewichte, die die Entwicklung der Kultur in Bewegung halten, sie sind der Plus- und der Minuspol, aus dem die Dynamik der künstlerischen Entwicklung ihre Energie bezieht. So kann etwas scheinbar Altbekanntes in einer Nachschöpfung zu etwas völlig Neuem werden, so wie es z.B. bei Picassos Interpretationen von Velasquez oder Delacroix der Fall ist. Vor allem bei den aktuellen künstlerischen Positionen, zu denen Cosima Hawemann und Simon Schubert unbedingt zu zählen sind, steht nicht die Erneuerung sondern eher das Ausloten und Ausschöpfen vorhandener, aber noch nicht angeeigneter Inhalte und Methoden im Mittelpunkt, denn die Neuerungen der Moderne sind äußerst komplex.

„Deuce“, schon der Titel der Ausstellung irritiert und muss nachgeschlagen werden und das erregt leicht den Verdacht des Elitären. Aber Deuce gründet auf dem Stammwort Duo – Zwei –, soweit, so klar, hier stellen zwei Künstler gemein-sam aus. Doch die Bedeutungen des Wortes Deuce sind vielfältig. Anfangs stand es für eine Zwei beim Würfeln. Aufgrund des niedrigen Werts kam die übertragene Bedeutung „Zwickmühle“ hinzu und  umgangssprachlich meint es den Teufel, „what the deuce – was zum Teufel... „ Beim Tennis hingegen meint es den Ausgleich der Punkte zwischen den Spielern. Aber wer spielt hier mit wem?  Der Titel der Ausstellung gibt also Rätsel auf und Rätsel und Fallen sind eines der Stilmittel der künstlerischen Moderne und immer gehen uns dabei unsere so geliebten Gewissheiten ins Netz. Schon der Begriff „Künstler“ als eine autonome, schöpferische Persönlichkeit ist in der Moderne zweifelhaft und die Daten der Raumsonden loten unsere Stellung in einem sich stetig ausdehnenden All als mehr oder weniger zufällig und unbedeutend aus. Wir sitzen im Abseits irgendeiner Milchstraße und unsere ehemaligen ewigen Wahrheiten und Glaubenssätze sind Makulatur: unsere neue Heimat heißt wie eine Arbeit von Cosima Hawemann „Entropia“. Entropie ist ein Begriff aus der Physik und er meint vereinfacht die geschlossenen Systemen innewohnende Gesetzmäßigkeit zu Unordnung und Auflösung. Wir liegen mit uns selbst im Widerstreit, aber diese Gegen-sätze sind Antriebsmodule und so finden wir sie auch in der Ausstellung. Bei diesem Schaukampf  geht es für den Besucher vor allem darum, sich nicht aufs Glatteis führen zu lassen, sondern, „what the deuce“, den Teufel bei den Hörnern zu packen. Schon 2009 begann Cosima Hawemann an einer Serie zum Thema Doppelgänger zu arbeiten und so entstanden erste Zwielichtwelten auf Papier, Gestalten zwischen Tag und Traum, die dem Schauerroman entsprungen sein könnten. Der Doppelgänger ist eine Erfindung der Romantik und wie so vieles aus dem romantischen Geist entspringt er letztlich dem Wunsch, die Wirklichkeitsgrenzen aufzuweichen. Die Einmaligkeit und die Echtheit der uns umgebenden Welt werden in Frage gestellt. Nicht umsonst benutzt Hawemann hier das Medium der seriell gefertigten Phantasieprothesen. Aus Standbildern, Dekorationsstoffen oder Fototapeten gefertigt stellt Hawemann ihre Fallen auf und wir gehen gewohnheitsmäßig auf den Köder. Wir verheddern uns in Hawemanns Pinselstrichen, tappen durch ihre Farbnebel, schwindeln an den Kanten zwischen Fotografischem und Gemaltem und dieses Vage und Unscharfe spiegelt uns unsere Alltagsgewissheiten und die Gegenstände unseres Strebens und Wünschens als Gaukeleien wider. Auf Hawemanns Gemälde „Teezimmer“ hängt ein altertümlicher, vierarmiger Leuchter über einer rotbraunen Tischplatte. Aber das ist kein romantisches „Tea fort wo“, die Lichter kreischen im expressiven Malduktus auf und erinnern an den aufgerissenen Mund in Edward Munchs Gemälde „Der Schrei“, ´der nordisch expressive Akkord von Gelb-Rosa-Violett schlägt gegen das Gewicht der Schatten, von denen er als dieser Schrei widerhallt. Eine von einer nackten Glühbirne angestrahlte Frau vor der Schäbigkeit einer Dekortapete lässt die existenzialistische  Ausweglosigkeit aufleben, wie wir sie von den Gemälden Francis Bacons her kennen und aus einem sich ausbreitenden Dunkel leuchtet uns ein Paar Augen entgegen. Da gibt es keine Horizonte. Wir befinden uns in „Entropia“, in einem Raum ohne Aussicht,  "In a room with no window“ , wie eine gemeinsame Installation von Cosima Hawemann und Simon Schubert lautet.

Simon Schubert verkehrt Hawemanns Prozesse des in Bewegung Setzens durch ein rationales „zu Ende Denken“ in das Gegenteil. Objekte, die wie Türen oder Vorhänge sowohl verschließen als auch den Zugang erlauben können, dienen hier ausschließlich dem Aussperren. Türblätter, die mit dem Rahmen der Zarge verbunden gleichsam die Wände eines Kasten artigen Objekts bilden, fungieren aus ihrer ehemaligen Funktion entlassen als neue Wirklichkeit und ihr Symbolgehalt wird in sein Gegenteil verkehrt. Die Symbolik der Tür ist alt und sie reicht von den Toren des Paradieses oder Blaubarts verbotener Tür bis zu jener, die man hinter sich zuwirft. Genau genommen wissen wir von einer Tür nie, ob sie uns ein- oder ausschließt, ihr Gott Janus hat zwei Gesichter. Aber diese Ambivalenz ist bei Schuberts Türobjekt ausgehoben: von diesen Türen werden wir eindeutig ausgesperrt. Sie mutieren von Zugängen zu den Wänden eines Raums, den wir niemals betreten werden. Auch die aufgespannten Schirme, die als die konvexen Ausschnitte einer Kugeloberfläche von Schubert zu einem Kokon gefügt werden, schließen uns aus. Sie igeln sich ein, das abweisende Schwarz tut das Seinige. Das Thema des Nicht- Teilhabens wird in dem Tabernakel artigem Objekt „die verbotene Reprobation“, einem mit Vorhängen abgeschirmten Bezirk variiert, auch dahinter haben wir nichts zu suchen. Hier sind es das Erlesene des Stoffs, das Samt artige seiner Beschaffenheit und das Priesterliche seiner Farbigkeit, die über unser ausgeschlossen Sein keinen Zweifel aufkommen lassen. Mit dem Objekt „Ava“ beleiht Schubert das Motiv von Rene´Magrittes Gemälde „Die verbotene Peproduktion“: einen Spiegel, der nicht das Spiegelbild einer gespiegelten Person sondern deren Rückenansicht aus unsere Netzhaut-Perspektive wiedergibt. Wieder sind wir ausgeschlossen, diesmal, und das ist besonders fatal, durch unsere eigene Sicht der Dinge. Der Spiegel als Tür zu einer parallelen Welt, wieder ein romantische Symbol, wird bei Magritte in sein Gegenteil verkehrt wird: uns allen bleibt lediglich eine Wiederholung unserer eigenen Ansicht und das Ausge-schlossen sein durch die nicht zu ändernde Art unserer Anschauung. Aber bei Schubert erfährt das Gedankliche von Magrittes Motiv durch die Objekthaftigkeit und dreidimensionalen Fassbarkeit und sinnlichen Dinglichkeit der „Ava“ eine Aufwertung als „Realität“. Also jenes Zusammenspiels unserer 5 Sinne, die uns auf den Köder der Falle gehen lassen. Die Anmut ihrer Erscheinung, das makellose Styling der Figur mit der Frisur einer ägyptischen Königin. Sie wird sich nicht zu uns umdrehen. In einer Epoche, die vor allem äußere Grenzen zu über- winden sucht, führt uns Schubert exemplarisch die verbotenen Bezirke vor. Und wer weiß, vielleicht sollten wir auch besser draußen bleiben, denn Hawemann gab uns eine Ahnung davon, was uns dort erwarten könnte: die Geisterbahn unserer eigenen Schattenbezirke. All das, was wir hinter Blaubarts verbotener Tür vermuten, aber jede Vermutung ist der Fingerabdruck unserer ganz eigenen und persönlichen Phantasie. Diese von der Kette gelassenen Phantasien sind unser Anteil, aber sie haben Hawemanns farbige Nebel und Schuberts Verbote als Voraussetzung: Wünschen und Fürchten sind Geschwister, sie steigen aus dem Unbewussten und nicht Opportunen auf und dort wo die Nebel sich senken, da sind wir wieder auf dem Boden unserer menschlichen Zwickmühle angekommen: in einem Fenster losen Raum. Hawemann und Schubert spielen mit unseren Programmierungen, im Inneren fühlen wir uns gefangen und im Draußen als ausge-schlossen. Diese Ambivalenz ist die Batterie, Verbot und Wunsch sind ein „perpetuum Mobile“ und versetzen uns in die Höhle des Löwen, jenem Biest, das wir selber sind und das uns den Ausgang versperrt. Aber jede Mauer ist ein Tor, sagt Waldo Emerson, Plus und Minus arbeiten in uns und das Spiel zwischen Verstand und Gefühl geht weiter. Ein Remis, ein Unentschieden, wird es nicht geben, aber wir können den Punktstand verbessern und aufholen, vielleicht bis zum Pari-Pari, dem Deuce.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Dieter Laue

Illusion der Wirklichkeit

Cosima Hawemann überschreitet in ihren Bilderfindungen die Grenzen zwischen Malerei und authentischem Kitsch, High und Low, Kunst und alltäglicher Werbegrafik. Ihre intermedialen Arrangements suchen Anschluss an das wirkliche Leben und zitieren bewusst aus der reizüberfluteten Bild-Umwelt der Nichtkunst, die uns täglich umgibt. Um kunstfremde Alltagsmaterialien in ihre Bilder zu integrieren, verwendet die Künstlerin das traditionelle Prinzip der Collage.

Cosima Hawemann wählt aus Werbeprospekten, die in Millionenauflage in unsere Haushalte gelangen, bewusst Abbildungen aus, die sie ausschneidet, Details isoliert und in ihre Kunst einbezieht. Die Sehgewohnheiten des Betrachters werden irritiert und Kommunikationsstrategien alltäglicher Gebrauchsästhetik hinterfragt. Die Materialbilder kombinieren figürliche Malerei, Zeichnung und Fotografie. Die Konfrontation der Gegensätze und die Disparität der Bildsprache schaffen Spannung und ironische Distanz. Ein ordinärer Wurstring erscheint als Heiligenschein über einem reduziert gezeichneten Nonnenportrait. Die ornamental überladene herkömmliche Tapete des Bildhintergrundes verleiht der absurden Situation eine banale Ebene. Linie und Fläche, Ornament und Figur verursachen formales Ungleichgewicht und kontrastreiche Bildaussagen. Profanes verwandelt sich zu Einzigartigem und Außergewöhnliches erhält den Charakter des Absurden. Es findet eine Umwertung der Werte statt, die alles zur Kunst und analog ebenso zur Illusion erklärt. Das kitschige Inselmotiv einer Fototapete wird in grellen, plakativen Farben übermalt, ein vermeintliches Paradies als Scheinwahrheit entlarvt, und die Ästhetik der industriell produzierten schönen Welt ad absurdum geführt.

Für die 59. Bergische Kunstausstellung in Solingen tapeziert die Künstlerin die weiße Museumswand mit einer Bildtapete im Backsteinmuster. Die haptische Beschaffenheit der Baumarktware ist reliefartig und trägt zum illusionären Spiel um seiende und scheinende Existenz bei. Die putative Mauer wird zur Präsentationsfläche, die den realen Raum einbezieht. So werden einerseits die Grenzen des Tafelbildes überwunden, andererseits neue Darstellungsebenen erschlossen, die als Bild im Bild fungieren und der Malerei eine exponierte Plattform bieten. Den unkonventionellen Rahmen für ein Portrait bildet ein Stück herausgerissene Tapete, die den Malgrund in Form einer Mandorla freilegt und die hermetische Geschlossenheit der Mauer aufbricht. Die Art der Präsentation erinnert an die Ästhetik von Trash. Die Verschränkung verschiedener Bildträger und Sehebenen bezieht den realen und illusionären Raum bewusst ein und verwirrt den Blick des Betrachters. Die Fototapete einer Birkenallee dient der Künstlerin als Malgrund, den sie mit schwungvoller Pinselführung und maigrüner greller Farbe bearbeitet. Die Baumstämme und ein sandiger Weg bleiben als fotografiertes Abbild von Wirklichkeit sichtbar und korrespondieren mit der monochromen gestischen Malerei. Die komplex aufgebauten Arrangements von Cosima Hawemann fordern die Wahrnehmung über den rein visuellen Akt des Wiedererkennens hinaus. Der Betrachter muss die illusionistischen Bilder-Träume der Fotografie und die vielschichtig zusammenhängenden Bild-Räume in Beziehung zueinander setzen. Die Künstlerin sprengt die Grenzen der verschiedenen Medien, analysiert den Wahrheitsgehalt von Bildaussagen, hinterfragt die Relation von Illusion und Wirklichkeit und definiert grundlegende Fragen der Kunst und der Malerei neu.

Gisela Elbracht-Iglhaut

(Katalogtext zum Bergischen Kunstpreis 2005, Museum Baden, Solingen)